Ffilmfestival »Final Girls Berlin«: Unruhige Gedanken haben

In Berlin beginnt das 10. queerfeministische Horrorfilmfestival »Final Girls«. Ein Gespräch mit den Gründer*innen Sara Neidorf und Eli Newy

  • Interview: Jeri Soleil Perschke
  • Lesedauer: 7 Min.
Body Horror über die Schönheitsindustrie und Schönheitsnormen: »Grafted« von Sasha Rainbow
Body Horror über die Schönheitsindustrie und Schönheitsnormen: »Grafted« von Sasha Rainbow

»Final Girls Berlin« wird zehn. Wie kamen Sie auf die Idee, ein Horrorfilm-festival in Berlin zu veranstalten?

Sara Neidorf: In den USA, wo ich herkomme, gab es bereits einige Festivals mit einem ähnlichen Konzept, doch in Berlin schien es in Sachen Horror eine Leerstelle zu geben. Wir wollten diese Lücke mit etwas füllen, was uns Spaß macht und von dem wir unbedingt mehr sehen wollten: Horrorfilme, die von Frauen und nicht-binären Menschen gemacht werden. Ich finde es toll, dass unser Festival über die Jahre zu einer Art Community-Veranstaltung geworden ist. Es gibt nicht nur die Filme zu sehen, sondern auch Gesprächsrunden und Workshops. Und es ist großartig zu sehen, wenn die Zuschauenden miteinander ins Gespräch kommen.

Wie viele Bewerbungen gibt es?

Eli Lewy: Dieses Jahr haben wir insgesamt 406 Einreichungen bekommen. Viele von ihnen kommen aus englischsprachigen Ländern wie den USA, Australien, Großbritannien und Kanada. Aber auch aus Taiwan, Mexiko, Singapur, Kolumbien und Indonesien. In diesem Jahr haben wir übrigens mehr Zusendungen aus Deutschland als sonst.

Neidorf: Wir versuchen immer, Filmen aus dem nicht-westlichen, nicht-englischsprachigen Kontext eine besondere Priorität einzuräumen. Thematisch geht es oft darum, was in der heutigen Zeit passiert. Sei es in Bezug auf die Gesetzgebung in verschiedenen Ländern oder ob Rechte angegriffen werden, wie als Roe vs. Wade gekippt wurde.

Interview

Seit 2017 präsentieren Sara Neidorf und Eli Lewy auf dem queerfeministischen Filmfestival »Final Girls Berlin« Horrorfilme, die von Frauen und nicht-binären Filmschaffenden gedreht, geschrieben oder produziert wurden. Neidorf arbeitet als Schlagzeuger*in für Theater, Tanz und interdisziplinäre Performance-Künste und spielt in den Bands Mellowdeath, Mad Kate The Tide und Sarattma. Lewy arbeitet als Übersetzerin und Redakteurin und betreibt den Film-Podcast »Somebody’s Watching« und auf Instagram den Kanal »Birds of a Feather«.

Lewy: Wir bekommen auch Filme zugeschickt, die sich mit dem Online-Leben oder Cyber-Horror beschäftigen. Dieses Jahr haben wir auch kapitalismuskritischen Horror, ich habe das Gefühl, dass es ein größeres Bedürfnis gibt, Kunst darüber zu machen.

Neidorf: Während der Covid-19-Pandemie reagierten viele Filmschaffende auf das Gefühl der Isolation. Horror ist ein Genre, das nicht nur mit den Dingen zu tun hat, vor denen die Menschen Angst haben, sondern auch mit den Dingen, die sie erleben.

Welche Kriterien sind Ihnen bei der Auswahl wichtig?

Lewy: Wichtig ist nicht nur, wer den Film gemacht hat, sondern wie innovativ und kreativ er ist. Und natürlich geht es uns um die Darstellung von Gender-Dynamiken.

Neidorf: Auch wenn es sich um ein Horrorfilmfestival handelt, wollen wir keine Filme zeigen, die alte Horrortropen reproduzieren oder zu viel Gewalt gegen Frauen, queere und trans Personen zeigen. Wir müssen uns anschauen, wie filmisch darauf reagiert wird und sehen, ob es ein Gegengewicht oder eine sichtbare Kritik gibt.

Wie unterscheidet sich das filmische Erzählen von nicht-binären und weiblichen Filmemacher*innen von dem von cis-männlich dominiertem Mainstream-Horror?

Neidorf: Die überwiegende Mehrheit der Horrorfilme, die im Mainstream vertrieben und veröffentlicht werden, wird bislang von Männern gedreht. Also bekommen wir nur diese Perspektiven zu sehen. Uns geht es darum, so viele verschiedene Sichtweisen und Erfahrungen wie möglich auf die Leinwand zu bringen, damit sich die Menschen damit identifizieren und sich auf einer tiefen Ebene damit auseinandersetzen können. Natürlich gibt es bestimmte Erfahrungen, die in Filmen von Frauen häufiger zu sehen sind, wie Mutterschaft, Menstruation oder das Gefühl, nachts auf einer leeren Straße unsicher zu sein. Aber ich glaube nicht, dass es das Ende der Fahnenstange ist. Horror erstreckt sich auf alle möglichen Dinge, die den Menschen in ihrem Leben Sorgen machen.

Lewy: Es geht um die Ängste und Schrecken, die in Frauen- und Transkörpern stecken und wir zeigen in diesem Jahr auch Filme, die einen ermächtigenden Aspekt haben. Es geht also nicht nur um das Elend des Daseins, sondern darum, eine Vielfalt darin zu zeigen. Der Film »T Blockers« von Alice Maio Mackay, den wir 2024 dabei hatten, war zum Beispiel sehr unterhaltsam und ermutigend und erzählte von der Kraft der queeren Gemeinschaft.

Neidorf: Wir hatten 2021 den Film »The Stylist« von Jill Gevargizian, in dem es um Freund*innenschaft und Besessenheit ging. Er wurde im Kontext eines Friseursalons gezeigt und die gezeigten Waffen basierten auf der Ausstattung des Schauplatzes. Es war eine interessante Idee, dass wir als Zuschauende somit Zugang zu einer bestimmten Umgebung haben, die weiblich codiert ist, aber die Geschichte selbst hat letztendlich kein Geschlecht.

Horror ist längst kein Underground-Genre mehr und der feministische Body Horror ist dank Filmen wie »The Substance« oder »Love Lies Bleeding« im Mainstream angekommen.

Lewy: Wir werden »The Substance« zeigen, auch wenn die meisten Leute, die zu unserem Festival kommen, diesen Film wahrscheinlich schon gesehen haben, wollen wir ihn im Rahmen unseres Festivals gemeinsam erkunden und erleben. Wir wollen diesen Sieg in der Welt des feministischen Horrors feiern!

Manchmal ist es nicht eindeutig, ob man in einem Horrorfilm sitzt oder nicht. So wie bei »If I Had Legs I’d Kick You« von Mary Bronstein auf der diesjährigen Berlinale, der als tragische Komödie angekündigt war und sich anfühlte wie ein Horrorfilm. Wie würden Sie Horror definieren?

Lewy: Ist das nicht großartig? Nicht zu wissen, wie man ihn einordnen soll, ist spannend. Das Spiel mit den Annahmen unserer Realität ist ein so fruchtbarer Boden. In einem Moment kann es ein subtiles Drama sein und dann passiert etwas, das einen wirklich erschreckt. Wir zeigen auf dem Festival zum Beispiel nicht viel Splatter, den können wir zwar auch genießen, aber es gibt so viel mehr.

Neidorf: Es geht nicht um Genrekonventionen. Es geht vor allem um das Gefühl, das ein Film vermittelt: etwa ein Gefühl der Angst oder der Beunruhigung. Das wichtigste Merkmal für mich ist, wenn ein Film dich aus deiner Komfortzone herausholt und du danach unruhige Gedanken hast.

Lewy: Und das Kino ist ein sicherer Ort dafür, denn es zeigt all die Ängste und Befürchtungen, die man im Leben hat. Darin liegt auch ein kathartisches Element. Du kommst raus und bist einfach du selbst und hast dein Leben, aber du hast gesehen und gespürt, wie es ist, diese dunklen Ideen und Gefühle zu durchleben.

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Was sind die Highlights der diesjährigen Final-Girls-Ausgabe?

Neidorf und Lewy: »Des Teufels Bad«, ein österreichischer Film von Severin Fiala und Veronika Franz.

Lewy: »I saw the TV glow« von Jane Schoenbrun ist auch sehr besonders. Wir haben ihn auf der Berlinale 2024 gesehen und es ist ein sehr bewegender, andersartiger Horror.

Neidorf: Ein weiteres Highlight ist »Grafted« von Sasha Rainbow, der bei unserem Festival Deutschlandpremiere haben wir. Der Film weist Parallelen zu »The Substance« auf, mit Body Horror über die Schönheitsindustrie und Schönheitsnormen. Es ist interessant, diese beiden Filme quasi miteinander ins Gespräch zu bringen. Die Shorts sind jedes Jahr ein großes Highlight. Dieses Jahr zeigen wir insgesamt zwölf Blöcke mit Kurzfilmen. Dieses Jahr werden wir außerdem eine besondere Party zusammen mit dem Berliner »Nightcrawlers«-Kollektiv veranstalten, eine Art Haunted-House, wie ein immersives Theatererlebnis, bei dem man hineingeht und in die Geschichte von gruseligen, suspekten Figuren eintaucht.

Was wünschen Sie sich für die Zukunft?

Lewy: Dass Frauen und nicht-binäre Filmemacher*innen die Möglichkeit und das Geld haben, weiterzumachen.

Neidorf: Ich hoffe, »Final Girls« kann weiter wachsen und auch international ein neues Publikum erreichen. Wir sehen ja, dass im Bereich des queerfeministischen Horrors ein Wandel im Gange ist und wir sind da, um die großen Erfolge zu feiern und auch die Underdogs zu unterstützen.

Das »Final Girls Berlin«-Festival findet vom 5.- 9. März 2025 im City Kino Wedding statt. Programm und Tickets unter: https://www.finalgirlsberlin.com

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