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Die Zeit der Frauen

Mexikos erste Präsidentin Claudia Sheinbaum hat ein Frauenministerium aus der Taufe gehoben

  • Kathrin Zeiske, Ciudad Juárez
  • Lesedauer: 7 Min.
In Ciudad Juárez wird das neue Frauenministerium zwar begrüßt, aber es gibt Zweifel an seiner Wirkungsmacht – Demonstration am 8. März 2024.
In Ciudad Juárez wird das neue Frauenministerium zwar begrüßt, aber es gibt Zweifel an seiner Wirkungsmacht – Demonstration am 8. März 2024.

»Das ist nicht normal, das ist Gewalt.« So klingt es in ganz Mexiko in prägnanten Spots der Regierung aus dem Radio. Jenseits der Grenze erleben die USA unter Donald Trump einen konservativen Gegenschlag, der die Errungenschaften sozialer Bewegungen hinsichtlich Gleichstellung und Menschenrechte torpediert. In Mexiko hingegen bekleidet zum ersten Mal in der über 200-jährigen modernen Geschichte des Landes eine Frau das oberste Staatsamt. Und die Präsidentin Claudia Sheinbaum hat sich vorgenommen, materielle Gleichstellung und Lohngleichheit für Frauen in der Verfassung zu verankern. Und sie hat erstmals in Mexiko ein Frauenministerium geschaffen, das von Citlalli Hernández geleitet wird, einer Frauenrechtsaktivistin.

Alleine in den vergangenen fünf Jahren wurden in Mexiko laut offiziellen Stellen fast 18 500 Morde an Frauen begangen. Ein »Gesetz für den Zugang zu einem Leben ohne Gewalt« soll dem entgegenwirken. Die lange Geschichte des Machismus spiegelt sich heutzutage ungebrochen in einer Realität zwischen Kartellkriegen, Korruption und Straflosigkeit wider. Jeden Tag werden in Mexiko zehn Frauen ermordet und sieben weitere gewaltsam verschleppt. Die Straflosigkeit bei geschlechtsspezifischen Straftaten liegt bei etwa 95 Prozent, aber nur eine von zehn Frauen traut sich, einen Täter überhaupt anzuzeigen.

Die Amtszeit der Frauen

Claudia Sheinbaum, seit dem 1. Oktober 2024 im Amt, besteht darauf, dass »diese sechsjährige Amtszeit die Zeit der Frauen ist«. Dass sie nach 100 Tagen schon einen Rückgang von Frauenmorden um 26 Prozent erreicht habe, ist freilich eine gewagte Behauptung. Wie das Nationale Bürgerobservatorium für Frauenmorde (OCNF) immer wieder hervorhebt, mangelt es an spezialisierten Staatsanwaltschaften im Land und aufgrund der fehlenden Sensibilisierung von Ermittlungsbehörden und Justiz wird nur ein Bruchteil der Hassmorde gegen Frauen auch als solche dokumentiert. Oftmals werden Totschlag oder gar Selbstmord vermerkt, obwohl eine lange Spirale der Gewalt vorausgeht.

In Ciudad Juárez beäugen junge feministische Aktivistinnen skeptisch das Vorhaben der Präsidentin. »Tja, also wir glauben nicht an Macht«, sagt Poli no Police vom Kunstkollektiv der Perras Bravas, der wilden Hündinnen. Mit den Frauenmorden in der mexikanischen Grenzstadt ist sie aufgewachsen. »Ich bin 1992 geboren, im gleichen Jahr, in dem der erste Femizid dokumentiert wurde.« Dieser Begriff wurde in Ciudad Juárez weltweit erstmals verwendet, als zu Beginn der 90er Jahre junge migrantische Fabrikarbeiterinnen systematisch entführt und brutal ermordet wurden. Die vorherrschende Straflosigkeit für die mutmaßlichen Täter, Kartellangehörige, Fabrikbesitzer, Richter und Polizeichefs aus den Machtsphären der Stadt, belegte: Wer eine Frau tötet, kommt ungestraft davon.

»Wir sollten wachsam bleiben«

»Ich war mir als Mädchen gar nicht bewusst, dass unsere Kindheit von dieser Gewalt überschattet wurde«, erzählt eine junge Fotografin, die sich in der Kunstszene C is for Scorpio nennt. »Wir wuchsen alle sehr behütet auf, im Haus eingesperrt von besorgten Eltern, die uns so zu schützen gedachten, vor dem unkalkulierbaren Risiko für junge Mädchen, auf die Straße zu gehen.« Eine kollektive Normalität, die keine sein sollte, darin sind sich die Perras Bravas einig. »Jetzt sind wir Frauen dran«, sei da ein schönes Motto von Claudia Sheinbaum. Aber auch feministische Diskurse könnten dazu genutzt werden zu verschleiern, dass im Grunde genommen die gleichen Interessen und Interessengruppen wie vorher vertreten werden. »Es bleibt ja derselbe Staat und dasselbe System«, fügt die Tattoo-Künstlerin Nayo hinzu. »Ich glaube, wir sollten wachsam bleiben.«

In der einbrechenden Dunkelheit machen sich die Frauen ins Zentrum von Ciudad Juárez auf, dessen Straßen um diese Uhrzeit ausgestorben daliegen. Nur in vereinzelten Straßen Richtung der Grenzbrücke Santa Fe, die nach El Paso, Texas, hinüberführt, ziehen alteingesessene Bars, Billardsalons und Stripclubs noch Publikum an. Die drei Gestalten in dunklen Kapuzenpullis bleiben an einem kleinen Platz zögernd stehen. Schließlich ziehen sie schnell ein paar selbstgemalte Plakate hervor und kleistern sie an die Wand, sogenannte Paste-Ups. Sie gehören im Stadtzentrum zum Straßenbild, genauso wie Grafitti, farbenprächtige Wandgemälde und die schwarzen Kreuze auf rosa Grund, die seit nun schon drei Jahrzehnten den allgegenwärtigen Femizid anprangern. Noch immer führt die Industriemetropole mit ihren 300 Montagefabriken, die für den Weltmarkt produzieren, die Zahl der Frauenmorde in Mexiko an.

Frauenministerium ist eine historische Errungenschaft

Citlalli Hernández ist die Galionsfigur Claudia Sheinbaums im Kampf gegen Gewalt und für Gleichberechtigung. Nachhaltiger als so manche Gesetzesänderung mag die Schaffung eines Frauenministeriums durch die Regierung Sheinbaum sein. Citlalli Hernández hat wie Sheinbaum die Partei Morena mitbegründet, sie ist gerade einmal 34 Jahre jung und strahlt Zuversicht und Pragmatismus aus. Ihr Posten sei »eine historische Errungenschaft«, wie sie selbst betont, und ein wichtiger Strukturwandel, der die Belange von Frauen, die mehr als die Hälfte der mexikanischen Bevölkerung stellen, auf Ministerebene bringt.

Hernández startete ihr Amt direkt mit einer Dialogreise durchs Land. Nach einer Pilotveranstaltung in Mexiko-Stadt stand Ciudad Juárez auf dem Programm. In einem pompösen Eventcenter, in dem sonst reiche Unternehmerfamilien die Einführung ihrer 15-jährigen Töchter in die Gesellschaft feiern, sammelten sich vor allem Frauen, aber auch vereinzelt Männer aus Zivilgesellschaft und Lokalpolitik, um mit ihrer Perspektive Gehör zu finden. Die Frauenministerin sprach von Dialog und gab am Ende der Konferenz das Versprechen, dass dieser nicht mehr abreißen wird. »Bitte seid geduldig«, sagte sie zum Abschied. Sie werde sich viele Hausaufgaben mitnehmen und diese Schritt für Schritt in politische Entscheidungen umsetzen.

»Ich fühle mich ernst genommen und gesehen«, sagt Alexia Buendía. Auch sie hat es in jungen Jahren schon weit gebracht. Mit gerade einmal Anfang 20 ist sie die Pressesprecherin des Städtischen Fraueninstituts in Ciudad Juárez. Manchmal sei ihr das alles zu viel, sagt sie. Sie stehe nicht »an vorderster Front« und unterstütze wie ihre Kolleginnen Frauen darin, eine gewalttätige Partnerschaft zu verlassen, bevor sie tödlich endet. »Aber ich muss mir alles anhören und über alles informiert sein, was bei der Polizei gemeldet wird und in der Presse steht; viele grausame Meldungen.«

Erfolgsmodell gegen Gewalt

Auch wenn der Grenzstadt ihr gewalttätiger Ruf noch immer vorauseilt, wurde hier inzwischen ein Erfolgsmodell gegen die ausufernde Gewalt gegen Frauen gefunden. »Heute sind wir ein landesweites Beispiel«, sagt Buendía. Nach der Verurteilung Mexikos vor dem Interamerikanischen Gerichtshof für Menschenrechte 2009 im Fall dreier Frauen, die ermordet auf einem Baumwollfeld in Ciudad Juárez aufgefunden worden waren, wurde ein sportplatzgroßes Mahnmal gegen Femizide geschaffen. Seit einigen Jahren gibt es in der Stadt eine Sonderstaatsanwaltschaft, die sich der Aufklärung von Gewalt gegen Frauen widmet. Auch ein Fraueninstitut hat die Stadt zu bieten. Es hat einen Sicherheitskorridor für Frauen im belebten Zentrum der Stadt entworfen. Außerdem bringt es Expertise und Praxis in Präventionsarbeit und Sensibilisierungsarbeit ein und sorgt dafür, dass weibliche Belange in alle Bereichen der Stadtpolitik einfließen.

Ciudad Juárez ist mittlerweile nur noch die zehntgefährlichste Stadt der Welt. Dennoch bleibt das Leben hier von der Präsenz der Kartelle geprägt. »Viele Partner, die zu Hause Gewalt ausüben, sind gleichzeitig im organisierten Verbrechen aktiv«, erzählt Alexia Buendía. Sie verträten ein stark machistisches Gedankengut und traditionelle Rollenbilder, hätten aber auch eine tägliche Gewaltpraxis und keine Hemmungen, jemanden zu verletzen und sogar umzubringen. »Es ist schließlich ihr Beruf. Und weil sie Schusswaffen besitzen, kann jeder Streit tödlich enden.«

Natürlich verändere eine weibliche Präsidentschaft per se nicht die ausufernde Gewalt gegen Frauen in Mexiko, sagt Alexia Buendía. Sie sei nicht unkritisch und habe auch Vorbehalte angesichts bestimmter politischer Entscheidungen. Aber ihre Augen leuchten trotzdem, wenn sie von Claudia Sheinbaum spricht. »Als junge Frau gibt sie mir Hoffnung, dass es sich zu kämpfen lohnt. Ich kann meiner Nichte nun sagen: Schau, du kannst als Mädchen alles werden, sogar Präsidentin.«

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