Chinas großer »Bocksprung«

Die Werkbank der Welt wird zunehmend zum Ingenieurbüro

Chinesische Konzerne haben Probleme mit der Inlandsnachfrage.
Chinesische Konzerne haben Probleme mit der Inlandsnachfrage.

Den Volkskongress nutzt die chinesische Regierung üblicherweise, um das jährliche Wachstumsziel, die wirtschaftlichen Schwerpunkte und Pläne sowie den Finanzhaushalt bekannt zu geben. Wie aus einem Arbeitsbericht der Regierung hervorgeht, will Peking für 2025 wieder ein Plus beim Bruttoinlandsprodukt (BIP) von etwa fünf Prozent anstreben. Die Zeiten zweistelliger Wachstumsraten sind seit dem Jahr 2010 Geschichte. Allein schon aus mathematischen Gründen kann die zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt keine Raten wie früher als Entwicklungsland erreichen.

Der wirtschaftspolitische Schwerpunkt der Regierung von Ministerpräsident Li Qiang liegt in diesem Jahr auf der Ankurbelung der Konsumausgaben der 1,3 Milliarden Chinesen. Seit 2021 eine Immobilienblase platzte, aus welcher die meisten Baukonzerne angeschlagen herausgingen, halten sich verunsicherte Verbraucher trotz geringer Inflation beim Einkauf merklich zurück. Eher überschaubare Gegenmaßnahmen der Regierung sowie die Senkung der Leitzinsen durch die Zentralbank verpufften mehr oder weniger.

Staatspräsident Xi Jinping und die Führung der Kommunistischen Partei hatten bereits Mitte Dezember das »rigorose Ankurbeln des Konsums und der heimischen Nachfrage« als erstes von neun strategischen Zielen genannt, gefolgt von Innovationen, die bislang als prioritär galten. Dazu hatte die Regierung bereits signalisiert, das Haushaltsdefizit auf über drei Prozent des BIP anzuheben und als Schwellenwert für die langfristige Tragfähigkeit der Verschuldung festzulegen. Ein niedriger Wert, der auch innerhalb der Europäischen Union als Maßstab für die Neuverschuldung gilt. Beim Volkskongress soll das Staatsdefizit nunmehr sogar auf vier Prozent angehoben werden, um einen kräftigen Impuls für die Wirtschaft zu setzen und die schwächelnde Binnennachfrage anzukurbeln.

Im Kontrast dazu boomt der Export: Die Volksrepublik exportierte im vergangenen Jahr so viele Waren wie noch nie und steigerte den Handelsbilanzüberschuss auf fast eine Billion Euro – ein Weltrekord. Zum Vergleich: Das Plus des Vizeexportweltmeisters Deutschland betrug rund 240 Milliarden Euro. Dabei verlief die Nachfrage aus den USA und der Bundesrepublik bereits 2024 schleppend. Doch Chinas Unternehmen ist es gelungen, andere Abnehmer vor allem in Südostasien und im arabischen Raum zu finden, welche alltägliche Produkte, Maschinen und Rohstoffe wie Seltene Erden aus China verstärkt nachfragen.

Trotzdem dürfte die Zollpolitik des US-Präsidenten Donald Trump bald Schleifspuren in Chinas Volkswirtschaft hinterlassen. Die Vereinigten Staaten sind der größte Abnehmer chinesischer Waren – 2023 gingen noch 14,8 Prozent aller Exporte dorthin. Die kürzlich in Kraft getretenen US-Zölle und die für Dienstag angekündigten zusätzlichen Zölle in Höhe von nochmals zehn Prozent dürften die Exporte ins Trump-Land deutlich reduzieren. Dies dürfte Chinas Wirtschaftsleistung um 0,4 Prozent senken, erwarten die Ökonomen der Commerzbank. Peking dürfte ein solcher Verlust schmerzen, er wäre aber verkraftbar.

Der nach Einschätzungen aus Peking noch »kalte« Handelskrieg mit den USA verstärkt dennoch einen schon länger wirkenden Megatrend. Viele erfolgreiche Firmen aus China expandieren ins Ausland, da der heimische Markt schwächelt oder einfach abgegrast ist und sich zusätzliche Investitionen einfach nicht mehr auszahlen würden. Internethändler wie Alibaba, Technologiekonzerne wie Huawei oder Autoproduzenten wie BYD investieren verstärkt in Vietnam und Kenia, Großbritannien oder den USA, um sich neue Märkte zu erschließen und gegebenenfalls westliche Zollschranken zu umgehen. Dem Wachstum in China dient diese Internationalisierung der roten Konzerne allerdings wenig.

Dagegen könnte ein anderer Megatrend das BIP dauerhaft beflügeln. Galt die Volksrepublik jahrzehntelang als »Werkbank der Welt«, ist sie nunmehr auch ein Ingenieurbüro. China ist aus eigener Forschungskraft auf dem Weg an die Weltspitze der technologischen Innovatoren und bereits heute einer der wichtigsten Konkurrenten etwa für mittelständische Global-Player aus Deutschland. »China holt bei der Chip-Produktion auf«, beobachtet die deutsche Außenhandelsorganisation GTAI. Und in Teilen des Maschinen- und Anlagenbaus sowie bei Elektroautos sei ein »Bocksprung« gelungen. Damit bezeichnen Ökonomen das Überspringen von technischen Entwicklungsschritten, die andere Länder gegangen sind. Dies ist ein Ergebnis des zehnjährigen Industrieplans »Made in China 2025«, mit dem die Eigenständigkeit und Innovationen in zehn Schlüsselindustrien wie IT, Robotik und neue Materialien gefördert werden sollte. Dieser Plan der Regierung, der mit dem aktuellen Volkskongress in sein letztes Jahr startet, könnte im Großen und Ganzen aufgehen.

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