Worin besteht der Herrenstandpunkt?

»Blitz aus heiterm Himmel«: Das Experiment Geschlechtertausch in der DDR

  • Irmtraud Gutschke
  • Lesedauer: 5 Min.
1990 verwandelten sich dann weniger die Geschlechter als das ganze Land.
1990 verwandelten sich dann weniger die Geschlechter als das ganze Land.

»Da lag sie, Katharina Sprengel, fünfundzwanzig Jahre alt, in ihrem Nachthemd, in ihrem Bett, hatte drei Tage lang geschlafen, und ihr Körper wies die männlichen Merkmale auf.« Diese schienen ihr »ganz gut geraten«. Doch wie würde es weitergehen? Es ist die Titelgeschichte von »Blitz aus heiterm Himmel«, geschrieben von Sarah Kirsch in einem Band mit Erzählungen über die Auflösung und den Wechsel der Geschlechter – erschienen in der DDR im Jahr 1975.

Sieben Autorinnen und Autoren wirkten damals mit an diesem nicht nur für die DDR-Literatur ungewöhnlichen Experiment. Die Idee dazu war Edith Anderson gekommen, am 17. Juni 1970, als der Maler und Schriftsteller Gotthold Gloger seinen 46. Geburtstag gefeiert hatte. »Es war schön, auf der bröckelnden Terrasse einer ›sturmfreien Bude‹ zu sitzen«, erinnerte sie in einem Vortrag über diesen Band. Unter den Gästen war damals auch Peter Hacks gewesen, der 1955 aus der BRD in die DDR übergesiedelt war und auch sonst ungewöhnliche Wege ging. »Wenn das mein Grundstück wäre, würde ich es wie Versailles gestalten«, sagte er auf der Geburtstagsparty und erzählte von dem Stück »Omphale«, an dem er gerade schrieb. Es geht darin um eine Königin in der Antike, die Herakles heiratet, aber sie will die Rollen tauschen.

Auf der Rückfahrt im Auto erzählte Anderson dem Cheflektor des Aufbau-Verlages davon. Warum er nicht gleich hellauf begeistert war? Einfach, weil er in seiner Männerseele erschauderte – so wie übrigens mehrere Schriftsteller, bei denen Edith Anderson anfragte. »O verflucht! O verflucht! Ein ganz erschreckender Traum«, platzte Hermann Kant heraus. Franz Fühmann war entsetzt: »Eine Frau! Das ist ja schlimmer als Kafka! Viel, viel schlimmer, als zu einem ungeheuren Ungeziefer verwandelt zu erwachen!« Später entschuldigte er sich für diese Worte.

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Es war ein schwieriger Weg zu dieser Anthologie, die 1975 bei Hinstorff veröffentlicht wurde, bald vergriffen war und erst heute wieder aufgelegt worden ist. In seinem fundierten Nachwort zitiert der Literaturwissenschaftler Carsten Gansel die Herausgeberin Anderson: Damals habe es noch »wenig Bewusstsein für die Frauenbewegung« gegeben. Zwar hätten die Frauen in der DDR Rechte und Vorteile genossen, um die sie von den »Frauen in Westdeutschland und den Vereinigten Staaten« womöglich beneidet wurden, doch sei ihnen dies »als Bestandteil des Sozialismus« zuteil geworden, »ohne dass sie jemals dafür kämpfen mussten«. Allerdings mussten die Frauen in ihren Familien durchaus darum kämpfen und dann ging das mühsam errungene Selbstbewusstsein der Mütter auf die Töchter über.

Die Feministin Edith Anderson hatte nicht Unrecht, dass es letztlich das »uralte Patriarchat« war, das sich gegen ihre Anthologie stellte. Als Kulturredakteurin der kommunistischen Tageszeitung »Daily Worker« hatte die jüdisch-amerikanische Journalistin den deutschen Exilanten Max Schröder kennengelernt. Sie war ihm 1947 nach Ostberlin gefolgt, auch weil er sie als Schriftstellerin ermutigte. Unlängst ist ihr Roman »A Man’s Job« wieder erschienen, der scharfsinnig die Strukturen patriarchaler Unterdrückung vor Augen führt.

Die wird man nicht einfach per Gesetz los. Tief verwurzelt sind jahrhundertealte Verhaltensmuster. Witzig ist es tatsächlich: Wenn sich im Band ein Mann in eine Frau verwandelt, scheint ihm dieser Vorgang erschreckender als umgekehrt. Karl-Heinz Jakobs stellte sich vor, was ein Matriarchat für die schöne Stadt Quedlinburg bedeuten würde. Der Ich-Erzähler in Rolf Schneiders »Meditation« war ohnehin überzeugt, »unter einer Diktatur des Weibes« zu leben, muss seine Ansichten aber korrigieren, als er das »Ausgeliefertsein an männliche Überlegenheitsansprüche« erfährt. Schließlich sieht er keinen anderen Ausweg, als sich in eine Bienenkönigin zu verwandeln, auch weil seine Frau so streitbar mit ihm umgeht.

In Günter de Bruyns Erzählung »Geschlechtertausch« führt eine Liebesnacht zum Wunsch, aus dem Ich zum Du zu wechseln. Karl wird zu Karla und trifft am Arbeitsplatz sogar auf Mitgefühl und Verständnis. Aber bald wird Kaffeekochen und Blumengießen erwartet. Und »man fand anderes interessanter als mein Fachwissen«. Das Schlimmste aber: Seine geliebte Anna will Adam bleiben und betrachtet ihn nun mit »kalten Männeraugen«.

Ich kannte damals die DDR-Ausgabe nicht, erinnere mich aber, wie ich von Christa Wolfs Erzählung »Selbstversuch« hörte und wie wenig neugierig ich war. Dass sich eine Frau zu einem Mann machen lässt, fand ich abseitig. Jetzt merke ich, was alles in diesem Text steckt: Wagemut einer Wissenschaftlerin, die durch ihre Verwandlung dem anderen Geschlecht auf die Spur kommen will, denn sie ist heimlich in ihren Professor verliebt. Als »Leiterin der Arbeitsgruppe Geschlechtsumwandlung« lässt sie sich das Medikament »Petersein masculinum« spritzen und wenig später das Gegenmittel. Sie bekam eine sogenannte Männerseele, aber das Weibliche in ihr verschwindet nicht. Als Doppelwesen ist sie »Spion im Hinterland des Gegners« und hält ihm den Spiegel vor.

In einem ähnlichen Konflikt steckt Alyda, die Ich-Erzählerin in Edith Andersons Erzählung »Dein für immer oder nie«. Als Geliebte eines verheirateten Mannes ist sie selbstbewusster als dessen Ehefrau, fühlt sich gleichberechtigt, respektiert und ist doch nicht ganz froh: »Wie können Frauen emanzipiert sein, wenn Männer es nicht sind?«

In ihrem Essay »Mythen und Möglichkeiten« fragt Annemarie Auer: »Worin besteht der Herrenstandpunkt heute noch?« Sie interessiert sich für matriarchale Strukturen in der Geschichte und führt die Doppelbelastung berufstätiger Frauen ins Feld. Sie verschärft sich ja unter heutigen Bedingungen noch. Wie die achtarmige Göttin Durga sollen sie sein: im Beruf bestehen, sich um ihr Äußeres kümmern, alles für die Familie tun, überhaupt Beziehungen pflegen, Kinder aufziehen, für gesunde Ernährung sorgen und für die alten Eltern, im digitalen Getriebe bestehen. Und die Liebe so schön wie im Kino.

Edith Anderson (Hg.): Blitz aus heiterm Himmel. Nachwort Carsten Gansel. Die Andere Bibliothek, 300 S., geb., 48 €.

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