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Wehrpflicht: Kaserne Europa
Der einzige Vorteil der Wehrpflicht besteht darin, ihn zu verweigern
Seit Beginn des Ukraine-Krieges gehört es unter Politikern, Journalisten und anderen aufmerksamkeitsbedürftigen öffentlichen und halb öffentlichen Figürchen zum guten Ton, zu Protokoll zu geben, dass sie heute keinesfalls wieder den Wehrdienst verweigern würden und dass sie sich außerdem für die Wiedereinführung desselbigen aussprächen. Jüngst tat das unter anderem auch Joschka Fischer, ehemaliger Bundesminister des Äußersten und bekannt für seine engagierten Friedensmissionen in den Trümmern von Jugoslawien und Afghanistan.
Dem Autor dieser Zeilen ist es einigermaßen fremd, sich selbst oder andere in eine derartig widerwärtige Situation zu wünschen. Zwölf Jahre schulischer Sportunterricht und die Erinnerung an die Luftverhältnisse in den zugehörigen Umkleidekabinen haben ihn gelehrt, was es heißt, mit durchgeschwitzten Jünglingen mit Testosteronüberschuss auf zu engem Raum verweilen zu müssen. Es ist auch eine Frage der Selbstachtung.
Da man im ollen Europa aber derzeit ahnt, dass »America First!« nicht nur Parole, sondern tatsächlich Programm ist, will man schnellstmöglich wieder wehrtüchtig werden. Hochrüstung wird da nicht reichen; auch auf Zwangsdienste wird man sich wieder gefasst machen müssen. Noch sprechen wir von der Festung Europa, bald droht die Kaserne Europa.
Tatsächlich hatte die Wehrpflicht nur einen Vorzug: das erhabene Gefühl, auf amtlichem Weg zu verstehen zu geben, dass man bei den Kriegsspielen nicht mitmachen wird. Im Kindesalter lernt man erst, mit Besteck zu essen, bald auch, sich die Schuhe selbst zu binden; ein paar Jahre später folgt die Wehrdienstverweigerung. Wer das nicht begriffen hat, ist nicht bereit für ein zivilisiertes Miteinander.
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