Weder Schwarz noch Weiß

Ein internationales Forschungsteam hat einen ganz neuen Typ hydrothermaler Quellen entdeckt

  • Ingrid Wenzl
  • Lesedauer: 5 Min.
Ein 127 Grad Celsius heißer Schlot am Meeresgrund wird mit einem Roboterarm beprobt.
Ein 127 Grad Celsius heißer Schlot am Meeresgrund wird mit einem Roboterarm beprobt.

Hydrothermalquellen gelten als biologische Hotspots und möglicherweise sogar als Ursprung irdischen Lebens. Sie befinden sich unter dem Meeresgrund, typischerweise entlang der Grenzen der Kontinentalplatten, wo sich durch die Kontinentaldrift häufig Risse bilden. Das in den Ozeanboden eindringende Meerwasser erhitzt sich, reagiert mit dem dortigen Gestein und sprudelt zurück in die Wassersäule. Bislang kannte man sogenannte Schwarze und Weiße Raucher: Während das eindringende Meerwasser bei ersteren Schwefel- und Metallverbindungen aus dem Vulkangestein im Meeresboden herauslöst, speien Weiße Raucher helle Mineralien wie Baryt aus. Im Kontakt mit dem kalten Ozeanwasser werden diese Verbindungen ausgefällt und schaffen zum Teil viele Meter hohe schwarze oder weiße Röhrengebilde. Eine kürzlich in der Fachzeitschrift »Earth and Planetary Science Letters« erschienene Studie zeigt nun aber, dass es bei Hydrothermalquellen eine größere Vielfalt gibt als bislang gedacht.

Bereits im Jahre 2001 entdeckten internationale Wissenschaftler*innen, nur 300 Kilometer vom Nordpol entfernt, das Hydrothermalfeld Polaris. Es befindet sich im Gakkelrücken, einem rund 1800 Kilometer langen, mittelozeanischen Rücken, der sich von Nordgrönland bis nach Sibirien erstreckt. Aufgrund des Vorkommens vulkanischen Basaltgesteins am Meeresboden und der Trübung der hydrothermalen Rauchfahne nahmen die Wissenschaftler*innen zunächst an, es handele sich um ein System Schwarzer Raucher.

Zu ihrer Überraschung fanden sie auf ihrer Expedition zu Polaris 2016 am Meeresgrund jedoch kleinteilige, maximal 50 Zentimeter hohe Schornsteinstrukturen in Rostbraun, über Blau bis gelblich, aus denen große Mengen Wasserstoff und Methan in die Wassersäule strömten.

»Während die Reaktionen zwischen Gestein im Meeresboden und Meerwasser bei Schwarzen Rauchern bei 350 bis 400 Grad ablaufen, liegen die Temperaturen im Meeresgrund von Polaris unter 300 Grad«, erklärt Erstautor Elmar Albers, der als Geowissenschaftler inzwischen am Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung, arbeitet. »Bei diesen Temperaturen werden dem Gestein keine Metalle entzogen.« Stattdessen entstehen bei der Reaktion zwischen dem durch Störungszonen eindringenden Meerwasser und dem Gestein im Ozeanboden Wasserstoff und Methan.

Auf den Schornsteinstrukturen fanden die Forscher*innen weißliche und hellgelbe Mikrobenmatten. Auch in der aufsteigenden Fahne ließen sich große Konzentrationen von Mikroorganismen nachweisen, die Wasserstoff verstoffwechseln. Sie bilden die Grundlage des Nahrungsnetzes an diesem unwirtlichen Ort. »Makrofauna größer als ein paar Zentimeter gibt es dort nicht«, versichert Albers.

Der Fund von Albers und Kolleg*innen ist von weitreichender Bedeutung: »Über 90 Prozent der Hydrothermalsysteme (in der Tiefsee) ultralangsamspreizender Rücken sind nur aufgrund der Signale in der Wassersäule entdeckt und interpretiert worden«, erläutert der Geowissenschaftler. »Wenn wir jetzt herausgefunden haben, dass es sich bei Polaris um kein System Schwarzer Raucher handelt, könnte das bei anderen ebenfalls der Fall sein.« Dies hätte auch Auswirkungen auf die bisherige Berechnung der Stoffkreisläufe im Ozean: Statt Eisen und Mangan würden dann weit mehr Wasserstoff und Methan freigesetzt als bislang angenommen. Um dies zu klären, müsste jede hydrothermische Rauchfahne jedoch bis zum Meeresboden verfolgt und auf ihre Zusammensetzung untersucht werden.

Zu den ultralangsamspreizenden Ozeanrücken zählt neben dem Gakkelrücken auch ein 7000 Kilometer langer Unterwassergebirgszug im Indischen Ozean. Dass die dortigen Hydrothermalsysteme noch weitgehend unerforscht sind, ist kein Zufall: Am Gakkelrücken ist die Meeresoberfläche ganzjährig mit Eis bedeckt, während am Südwestindischen Rücken oftmals starke Winde blasen. »Wir sind in unserer Forschung noch absolut am Anfang«, so Albers.

Dabei seien diese Unterwassergebirgszüge ein hochinteressantes Forschungsfeld: Anders als bei schnellspreizenden Rücken überwiegt hier die tektonische Komponente. Der neue Meeresboden zwischen den beiden auseinanderdriftenden Platten ist also in der Regel nicht vulkanischen Ursprungs, sondern besteht aus verdünnter Erdkruste.

Sehr wenig weiß man bislang über die hydrothermale Zirkulation an den Flanken und fernab der Ozeanischen Rücken. Weil die Temperatur, bei der die Prozesse dort ablaufen, deutlich niedriger ist, ist diese Aktivität viel schwerer zu entdecken als die der spektakulären Schwarzen Raucher.

Aufschlussreich könnte auch ein weiteres arktisches Hydrothermalfeld im Lenatrog, bei 81 Grad Nord, mit dem Namen Lucky B sein, zu dem die Publikation noch aussteht. Albers’ Forschungsgruppe hat es 2023, bei ihrer letzten Expedition, näher untersucht. Seine Strukturen stoßen ebenfalls sehr große Mengen Wasserstoff und Methan aus. Während der Meeresboden von Polaris jedoch aus Basaltgestein ist, handelt es sich dort um Erdmantelgestein. »Das Serpentinisierungssignal – also dass im Meeresgrund Mantelgestein mit Meerwasser reagiert (Anm. d. A.) – ist bei Lucky B viel stärker als bei Polaris, und wir gehen derzeit davon aus, dass hier noch viel mehr Wasserstoff und auch Methan in die Wassersäule aufsteigt als bei Polaris«, erzählt Albers.

Interessant sind die aktuellen Forschungsergebnisse auch für die Suche nach Leben im All. Ko-Autor der Polaris-Studie Christopher German, Wissenschaftler an der Woods Hole Oceanographic Institution sowie der Nasa, entwickelte einen Unterwasserroboter zur Erkundung des nördlichsten bekannten Hydrothermalfelds. Er könnte später einmal als Prototyp für die Erforschung des Jupitermondes Europa und des Saturnmondes Enceladus eingesetzt werden, wo ebenfalls Hydrothermalquellen vermutet werden. »Beide zeichnen sich durch Salzwasser-Ozeane aus, die unter ihren Eisschilden liegen, und felsigen Meeresboden«, erklärt German. Und die Interaktion dieser Elemente könnte die Grundlage für Leben schaffen.

Aus den Schornsteinstrukturen strömten Wasserstoff und Methan in die Wassersäule.

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