Serbien: Großdemonstration gegen Korruption und Regierung

Serbische Regierung wegen Protestwelle zunehmend unter Druck

  • Mina Pejakovic und Ognjen Zoric
  • Lesedauer: 3 Min.
Bei den Protesten in Serbien gingen Bauern und Studenten gemeinsam auf die Straße
Bei den Protesten in Serbien gingen Bauern und Studenten gemeinsam auf die Straße

An der bislang größten Demonstration gegen Korruption und gegen die serbische Regierung haben in Belgrad zwischen 275 000 und 325 000 Menschen teilgenommen. Dies gab eine auf Schätzungen spezialisierte Beobachtergruppe am Samstagabend bekannt. Das Innenministerium gab die Zahl der Teilnehmer mit 107 000 an. Laut Polizei gab es Zusammenstöße zwischen einzelnen Gruppen – auch Anhänger der Regierung hatten mobil gemacht.

Teilnehmer waren aus dem ganzen Land in die serbische Hauptstadt gereist, schon Stunden vor Beginn der Demonstration waren tausende Menschen auf den Straßen. Landwirte, Studenten und andere Bürger standen entlang der knapp zwei Kilometer langen Demo-Strecke in Belgrad. »Wir haben gezeigt, dass der Wandel möglich ist, solange wir zusammen kämpfen«, rief eine Studentin von der Bühne auf dem zentralen Platz der Stadt.

Opposition und Regierung mobilisieren Anhänger

Die Menge sang gemeinsam den Slogan der Bewegung »Pumpaj! Pumpaj!«, womit zum Ausdruck gebracht werden soll, dass dem Protest die Energie und der Atem nicht ausgeht. Viele trugen Anstecker mit einer blutigen Hand, auch das ein Symbol der Proteste. »Korruption tötet«, lautet der Schlachtruf der Demonstranten. »Ganz Serbien hat sich aufgelehnt, das erlebt man nicht alle Tage. Ich glaube, das ist das Ende des Regimes«, sagte ein Teilnehmer.

Die von Studierenden angeführten Proteste hatten nach dem Einsturz eines Bahnhofsvordachs in der Stadt Novi Sad am 1. November begonnen, bei dem 15 Menschen ums Leben gekommen waren. Das Unglück befeuerte die Wut über die Korruption in Serbien, die Proteste richten sich inzwischen auch gegen Regierung von Präsident Aleksandar Vučić. Über Monate kam es seither im ganzen Land zu großen Protesten.

Demonstranten rufen zu Gewaltverzicht auf

Auch Unterstützer der Regierung waren vor Ort, darunter Ultranationalisten, Mitglieder militanter Gruppen und mutmaßliche Hooligans, die in der Nähe des Parlaments Barrikaden aufgebaut hatten. Regierungsanhänger bauten auch Zelte vor dem Präsidialamt auf.

EU und Uno hatten die Regierung in Belgrad schon im Vorfeld dazu aufgerufen, das Demonstrationsrecht zu respektieren und Gewalt zu vermeiden. Studierendenverbände riefen in Onlinemedien dazu auf, »ruhig und verantwortungsvoll« zu demonstrieren. »Das Ziel der Bewegung ist es nicht, in Institutionen einzudringen oder diejenigen anzugreifen, die anders denken als wir«, hieß es. »Diese Bewegung darf nicht missbraucht werden.«

Am Abend forderte eine Studenten-Gruppe die Demonstranten auf, sich aus der Nähe des Parlaments zurückzuziehen, nachdem Flaschen und Steine geschleudert worden waren.

Präsident Vučić will nicht zurücktreten

Präsident Vučić äußerte sich am Samstagabend zu der Großdemonstration. »Es gab keine Opfer oder schweren Verletzungen,« sagte er in einer Rede an die Nation. »Ich bin stolz auf die Polizei, die die Sicherheit für alle Teilnehmer gewährleistet hat,« fügte er hinzu. »99 Prozent« der Studenten seien während der Kundgebung friedlich geblieben. Einen Tag zuvor hatte er betont, dass er sich von den Demonstrationen nicht unter Druck setzen lasse. Er werde es nicht zulassen, »dass die Straße die Regeln diktiert«.

Regierungsangaben zufolge waren am Freitag sechs Aktivisten festgenommen worden. Sie stünden im Verdacht, »Aktionen gegen die verfassungsmäßige Ordnung und die Sicherheit in Serbien« geplant zu haben.

Die serbische Regierung steht wegen der Protestwelle unter wachsendem Druck. Ende Januar erklärte Ministerpräsident Milos Vucevic seinen Rücktritt. Präsident Vucic ruft derweil abwechselnd zum Dialog auf oder macht ausländische Einmischung für die Proteste verantwortlich. AFP/nd

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.