Budapest-Komplex: Grenzüberschreitende Repression

Nach Angriffen auf Neonazis in Ungarn wird Beschuldigten auch in Deutschland der Prozess gemacht

Antifaschistische Demonstration anlässlich des diesjährigen »Tag der Ehre« in Budapest. Dort sitzt Maja T. nach rechtswidriger Auslieferung in Untersuchungshaft.
Antifaschistische Demonstration anlässlich des diesjährigen »Tag der Ehre« in Budapest. Dort sitzt Maja T. nach rechtswidriger Auslieferung in Untersuchungshaft.

Vor zwei Jahren wurden beim rechtsextremen »Tag der Ehre« in Ungarn neun mutmaßliche oder tatsächliche Teilnehmer angegriffen und verletzt. Als Höhepunkt dieses jährlichen Treffens gedenken Rechtsextreme aus ganz Europa der »Schlacht um Budapest« vor 80 Jahren. Gemeint ist der erfolglose Ausbruch der deutschen Wehrmacht, Waffen-SS und ihrer ungarischen Kollaborateure aus einem Kessel der Roten Armee. Dabei sollen mehr als 100 000 Menschen ums Leben gekommen sein.

Ungarns Justiz hat in dem »Budapest-Komplex« 18 Verdächtige aus Deutschland, Italien, Albanien und Syrien identifiziert, von denen die meisten in Haft sitzen oder für den Prozess Haftverschonung erhalten haben. Drei Deutsche werden noch gesucht. Allen wird gefährliche Körperverletzung und Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung vorgeworfen. In Ungarn drohen ihnen Freiheitsstrafen von bis zu 24 Jahren. Da gegen einige Beschuldigte im Zusammenhang mit dem sogenannten »Antifa-Ost-Komplex« ermittelt wird, finden auch in Deutschland Verfahren statt.

Der erste in Budapest abgeschlossene Prozess betraf Tobias E., der nach einem Teilgeständnis nach fast zwei Jahren Haft am 20. Dezember entlassen wurde. Bei seiner Heimreise nach Deutschland wurde er erneut festgenommen; er soll sich nun auch in Deutschland wegen Taten im Rahmen der »Antifa Ost« verantworten und sitzt deshalb in Untersuchungshaft.

Ebenfalls in Budapest angeklagt sind die Deutsche Anna M. und die Mailänderin Ilaria Salis, die Haftverschonung erhielten – Salis aufgrund ihrer erfolgreichen Kandidatur als EU-Abgeordnete. Ungarn hat die Aufhebung ihrer Immunität beantragt. Wann sich der zuständige EU-Parlamentsausschuss damit befasst, ist unklar – dies könnte in den nächsten Monaten oder erst nach der Sommerpause geschehen.

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Zwei weitere Betroffene sollen aus Italien und Frankreich ausgeliefert werden, es fehlt aber die Zustimmung der Staatsanwaltschaften oder Gerichte. Nach einem EU-Haftbefehl aus Budapest wurde Gabriele Marchesi in Mailand letztes Jahr zeitweise festgenommen. Mit Verweis auf die Haftbedingungen in Ungarn verweigerte der zuständige Staatsanwalt jedoch die Auslieferung – gegen Marchesi wird nun in Abwesenheit verhandelt, am 6. Mai gibt es dazu einen ersten Prozesstag.

Ebenfalls im »Budapest-Komplex« verfolgt wird der »Gino« genannte Albaner Rexhino Abazaj. Er hatte lange in Italien und anschließend in Finnland gelebt. Nach seiner dortigen Festnahme flüchtete er trotz elektronischer Fußfessel nach Frankreich und wurde dort abermals inhaftiert. Am 9. April steht die Entscheidung zur Auslieferung nach Ungarn an, vermutlich wird er aber bereits ab 26. März unter Hausarrest mit erneuter Fußfessel stehen, wie eine Haftprüfung vergangene Woche ergab.

Am 21. Februar begann der Prozess gegen die sich als non-binär verstehende Deutsche Maja T., die im vergangenen Sommer nach Ungarn ausgeliefert wurde, obwohl das Bundesverfassungsgericht dies durch eine einstweilige Anordnung am selben Morgen noch untersagt hatte – das war verfassungswidrig, stellte das höchste Gericht im Januar fest. Die Staatsanwaltschaft in Ungarn bot T. im Falle eines Geständnisses und Verzicht auf ein Hauptverfahren eine Strafe von 14 Jahren Haft unter erschwerten Haftbedingungen und ein zehnjähriges Einreiseverbot nach Ungarn an. Sie ging nicht darauf ein, nun drohen ihr nach einem bis zu drei Jahre dauernden Prozess sogar bis zu 24 Jahre Haft.

T. wird beschuldigt, an zwei Angriffen auf Personen teilgenommen zu haben, die von der Staatsanwaltschaft als »Touristen« bezeichnet werden, aber laut Verteidigung Rechtsextreme sind – dafür spricht, dass zwei der Geschädigten bei ihrer Zeugenaussage vor zwei Wochen in Budapest von einer martialischen Kundgebung mit rund 100 Neonazis vor dem Gerichtsgebäude begleitet wurden. Beim ersten Vorfall am 9. Februar 2023 soll T. mit neun Kompliz*innen vier aus Polen angereiste Personen angegriffen haben. Beim zweiten Vorfall seien zwei Rechtsrocker verfolgt und mit Pfefferspray und Teleskopschlagstöcken traktiert worden. Die Justiz behauptet, dass die Täter*innen lebensgefährliche Körperverletzungen der Opfer billigend in Kauf genommen hätten.

Ungarns Justiz hat in dem »Budapest-Komplex« 18 Verdächtige aus Deutschland, Italien, Albanien und Syrien identifiziert.

Am 20. Februar 2025 begann vor dem Oberlandesgericht (OLG) München der erste Strafprozess zum »Budapest-Komplex« in Deutschland. Angeklagt ist Hanna S., der versuchter Mord, gefährliche Körperverletzung und Bildung einer kriminellen Vereinigung vorgeworfen wird. Die Verhandlung in Deutschland statt Ungarn begründete das Gericht mit der besonderen Bedeutung des Verfahrens, da die Tat »negative Auswirkungen auf das Erscheinungsbild der Bundesrepublik Deutschland gegenüber anderen Staaten haben könne«. Laut dem Generalbundesanwalt soll S. an zwei von insgesamt fünf Taten in Budapest beteiligt gewesen sein. Dabei sollen die Angreifer*innen mehrere Personen mit Stöcken und anderem Schlagwerkzeug angegriffen haben. In einem Fall habe S. mit anderen Gruppenmitgliedern einen am Boden liegenden Mann fixiert, um Schutzhaltungen zu verhindern. Dies habe laut Anklage zu potenziell lebensgefährlichen Kopfverletzungen geführt. Der Strafrahmen gegen Hanna S. reicht von sechs Monaten bis zu 15 Jahren Haft. Für den Prozess sind 32 Verhandlungstage bis zum Sommer angesetzt.

Ende Januar haben sich sieben im »Budapest-Komplex« aus Ungarn sowie Deutschland gesuchte Beschuldigte in verschiedenen Bundesländern den deutschen Behörden gestellt. Sie fordern faire Strafverfahren in Deutschland. Eine offizielle Entscheidung des Berliner Kammergerichts darüber steht noch aus, jedoch haben sich nach Informationen des »nd« auch die zuständigen Generalstaatsanwaltschaften gegen eine Auslieferung ausgesprochen. Trotz ihrer Selbstgestellung erhalten die Sieben keine Haftverschonung. Zu ihnen gehört auch Zaid A., anerkannter Flüchtling aus Syrien, der sich nun in Auslieferungshaft befindet. Gegen ihn liegt ein ungarischer, aber kein deutscher Haftbefehl vor. Zu einer beantragten Haftprüfung gibt es noch keine Entscheidung.

In Deutschland wurde im November außerdem Johann G. festgenommen, den die Behörden als »Rädelsführer« der »Antifa Ost« und als Beteiligten in Budapest betrachten. Der in dem Komplex ermittelnden »Soko Linx« aus Sachsen gilt er als Vertrauter von Lina E., die vor einem Jahr als Mastermind der angeblich kriminellen Vereinigung verurteilt wurde. Auf Antrag der Generalstaatsanwaltschaft Thüringen wird G. ebenfalls in Deutschland vor Gericht stehen.

Im Fall von Lina E. läuft vor dem BGH in Karlsruhe das Revisionsverfahren, das Anklage und Verteidigung angestrengt hatten. Das OLG Dresden hatte den Haftbefehl gegen E. bereits aufgehoben, nachdem sie im Gefängnis an Rheuma erkrankt war. Da sie drei Jahre in Untersuchungshaft verbracht hat und sich dort korrekt verhalten haben soll, stehen wohl nur noch wenige Monate Haft aus – abhängig vom Ausgang der Revision. Das Urteil des dritten Strafsenats am BGH wird am Mittwoch erwartet.

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