Serie »Dope Thief«: Gewalt erzeugt Gegengewalt

Die Apple-Serie »Dope Thief« inszeniert Drogenkriminalität als knallhartes und spannungsgeladenes Sozialdrama

  • Florian Schmid
  • Lesedauer: 4 Min.
Der Hund mag niedlich aussehen, aber wer weiß, was er in dieser Serie im Schilde führt.
Der Hund mag niedlich aussehen, aber wer weiß, was er in dieser Serie im Schilde führt.

Ich wollte nur ein normales Leben haben!», schreit Manny (Wagner Moura) verzweifelt seinen Kumpel Ray (Brian Tyree Henry) an und zieht den Sicherungsstift einer Handgranate. Ray nimmt ihm das Ding weg und schmeißt es geistesgegenwärtig in einen Müllcontainer, der daraufhin in die Luft fliegt. Aber normal ist das Leben der beiden Hauptfiguren in der Apple TV+-Serie «Dope Thief» sowieso nicht.

Das Seriendebüt von Peter Craig, zuletzt für Regie und Drehbuch in teuren Hollywood-Blockbustern wie «Batman», «Top Gun Maverick» oder «Gladiator 2» verantwortlich, ist weit mehr als nur ein Krimi. Wieder einmal scheint sich eine Hollywood-Mainstream-Größe künstlerisch im Serienformat bei Apple auszutoben, ähnlich wie Ben Stiller mit «Severance». Regie bei der ersten Episode von «Dope Thief» führte Mit-Produzent Ridley Scott. Der verstörend sozialrealistische Achtteiler setzt den gleichnamigen Roman von Dennis Tafoya als rasant erzählten Thriller in der urbanen Peripherie eines abgewirtschafteten und korrupten US-Amerika um. «Dope Thief» erzählt von zwei befreundeten Kleinkriminellen, die sich im Jugendknast kennenlernen und sich, älter geworden, als Drogenfahnder ausgeben, kleine Dealer überfallen und ihnen Crack, Meth oder Heroin und das Geld abnehmen.

Es geht um die strukturelle Gewalt im Leben der beiden Männer, die nach dem großen Coup, der für sie aber ein misslungener Raubzug ist, immer verzweifelter werden.

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Angesiedelt ist die Serie in den heruntergekommenen Arbeitervierteln Philadelphias. Die Ostküstenstadt gilt seit Jahren als Drogen-Hotspot, nirgends in den USA gibt es so viel und so billiges Heroin wie in Philadelphia, wo die Straßen einiger Stadtteile von Drogenabhängigen gesäumt sind.

Die Masche von Manny und Ray ist es, mit gespielter Polizeiautorität aufzutreten, ihre Opfer einzuschüchtern und schnell mit der Beute zu verschwinden, möglichst ohne Gewalt anzuwenden. Das geht alles gut, bis sie eines Tages einen angeblich heißen Tipp bekommen und ein Meth-Labor außerhalb der Stadt überfallen. Dabei werden aber mehrere Menschen erschossen. Außerdem erbeuten die beiden Kleinganoven dabei fast eine halbe Million Dollar und große Mengen Drogen. Fortan sitzt ihnen ein Drogen-Kartell im Nacken, das eine bis an die Zähne bewaffnete Rocker-Gang losschickt und auch ihre Familien bedroht. Außerdem waren, wie sich herausstellt, echte Bundesagenten der Drogenfahndung undercover in dem Meth-Labor. Einer wird erschossen, eine zweite Beamtin, Kristy Lynne (Marin Ireland), überlebt schwer verletzt.

Wurden Ray und Manny benutzt, um einen Krieg zwischen Kartellen auszulösen, an dem unter Umständen auch abtrünnige Bundespolizisten beteiligt sind? Die beiden Männer werden bald gejagt und scheinen nicht die geringste Chance zu haben, aus der Geschichte wieder unbeschadet herauszukommen. «Dope Thief» erinnert ein wenig, auch hinsichtlich der Ästhetik des heruntergekommenen urbanen Raums, an die in Baltimore angesiedelte legendäre Serie «The Wire», ist aber im Gegensatz dazu keine Cop-Geschichte.

Der Achtteiler spürt vielmehr den Biografien der Kleinkriminellen Ray und Manny nach. Es geht um die strukturelle Gewalt im Leben der beiden Männer, die nach dem großen Coup, der für sie aber ein misslungener Raubzug ist, immer verzweifelter werden und ihre Angst kaum im Zaum halten können. Ray wird außerdem immer wieder von Erinnerungen an seine Jugendliebe heimgesucht, die einem Gewaltverbrechen zum Opfer fiel. Damit konterkariert «Dope Thief» radikal den gängigen Mythos des Narcos, des Drogenhändlers, als popkulturell verklärte Heldenfigur, wie sie heute in Filmen und Serien entworfen wird. Aber es geht in dieser starbesetzten Serie nicht nur um Drogen, sondern vielmehr auch um den ganz banalen Alltag der Menschen im sozial prekären US-Amerika.

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Immer wieder geht es auch um rassistische Polizeigewalt, die in Philadelphia, wo Mumia Abu Jamal festgenommen wurde, eine unrühmliche und lange Geschichte hat. Ein riesiges Wandgemälde mit dem Konterfei des ehemaligen Polizeipräsidenten und späteren Bürgermeisters Frank Rizzo, eines reaktionären Law-and-Order-Hardliners aus den 80er Jahren, lange Zeit ein Postkartenmotiv der Stadt, wurde im Zuge der Black-Lives-Matter-Bewegung vor einigen Jahren übermalt.

Wie Ray von seinem Vater als Kind lernt, die Prügel der Polizei schweigend einzustecken, um zu überleben, «um ein richtiger Mann zu sein», tut richtig weh. Das Eskalationspotenzial dieser mitunter sehr gewalttätig und blutig inszenierten Geschichte scheint gar kein Ende zu nehmen und wartet mit einigen verblüffenden dramaturgischen Wendungen und einem furiosen Finale auf.

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