- Kultur
- ARD-Serie
»Marzahn mon amour«: Einmal auf dem Thron sitzen
Die ARD verfilmt Katja Oskamps Erfolgsroman »Marzahn mon amour« als Miniserie
Es ist immer sehr lästig, Menschen Eigenschaften zuzuschreiben, nur weil sie einer bestimmten Gruppe angehören. Man macht es sich doch sehr einfach damit. Aber wahrscheinlich hätte diese Serie so nie gedreht, dieses ihr zugrunde liegende Buch nie geschrieben werden können, wenn die Ossis nicht so wären, wie sie nun mal sind. Nicht penetrant verjammert, nicht per se ein Querulant und irgendwie den Schuss nicht gehört. Nein, die Serienadaption von »Marzahn mon amour« ist eine Hommage an den Ossi jenseits des Westklischees – so, wie er wahrscheinlich wirklich ist.
Obwohl Regisseurin Clara Zoe My-Linh von Arnim, die gerade erst mit der Serie »Die Zweiflers« international den Ruf der deutschen Fernsehunterhaltung gerettet hat, mit solchen Zuschreibungen schon aufgrund ihres Alters nichts zu tun hat, beweist sie mit der Adaption von »Marzahn mon amour« abermals ein faszinierendes Talent für Figurenzeichnung. Natürlich ist das auch der hervorragenden Buchvorlage Katja Oskamps geschuldet.
Das Panoptikum an Figuren, die hier aufschlagen, ist famos, und ihre Geschichten sind mal tragisch, mal komisch, verbittert oder liebevoll. Meistens alles gleichzeitig.
-
Kathi (eine wie immer famos unprätentiöse Jördis Triebel) ist Mitte 40 und ihre Schriftstellerinnenkarriere kam nie so wirklich in Fahrt. Nach zahllosen abgelehnten Manuskripten muss trotzdem die Miete bezahlt werden, und sie beschließt, als Fußpflegerin in einem Kosmetikstudio an der Marzahner Promenade im gleichnamigen Berliner Stadtteil anzufangen. Das Panoptikum an Figuren, die hier aufschlagen, ist famos, und ihre Geschichten sind mal tragisch, mal komisch, verbittert oder rührend. Meistens alles gleichzeitig.
Um an die Geschichten zu kommen, muss Kathi nichts machen, außer den Kund*innen die Socken auszuziehen, ihre Füße sanft in ein Wasserbad gleiten zu lassen, den »Thron«, wie sie den Kosmetikstuhl nennt, hochzufahren und zuzuhören. Sie unterlässt jede moralische Bewertung, hört sich alles ehrlich wohlwollend an, egal wie anmaßend sich ihre Kund*innen verhalten, wie traurig oder abstoßend ihre Geschichten sein mögen. Alle kommen ins Reden, denn hier sitzen Menschen vor ihr, »die manchmal tagelang mit niemandem reden, die uns, wenn sie ins Studio kommen, ihre hungrigen Herzen ausschütten. Jede Berührung dankbar aufsaugen und glücklich sind an diesem Ort, an dem sie nicht wie die Vollidioten der Nation behandelt werden« (ein Zitat aus dem Buch, das in der Serie aus dem Off eingesprochen ist).
Man könnte ganz einfach behaupten, es gehe um Menschen, die in der heutigen Welt eher weniger Ruhm und schon gar keine Anerkennung erfahren (außer, sie taugen für eine journalistenpreisverdächtige Sozialdrama-Reportage oder eine »Stern TV«-Doku über die niederen Instinkte von Plattenbauinsassen), und das würde auch stimmen. Es geht aber, und vielleicht sieht man das nur, wenn man selbst noch etwas mit der DDR anfangen kann, unter anderem auch um das Ostdeutsch-Sein. Es geht darum, wie man das Wort »Püppi« (Kosename für die eigene Ehefrau) ausspricht (es hat nichts mit Sexismus zu tun, sondern ist in der Art und Weise, wie man es sagt, eine altbackene Ostberliner Art, einen Lieblingsmenschen zu benennen), es geht um den Verlust von Sicherheit und Orientierung, um Wochenkrippen und darum, wie sie das Verhältnis zur Mutter prägen.
Alles bespricht Kathi mit ihren Kund*innen (es sind meistens Frauen, was die Serie noch einmal extra sehenswert macht, weil hier gleich zwei aussätzige Fernsehfiguren zusammen eine Hauptrolle bekommen: alte Frauen) und es geht um den mühevollen Kampf, sich ein Leben neu aufzubauen. Dabei sind die Charaktere, die Kathi auf ihrem Thron pedikürt, keinesfalls liebenswürdig, viele sind hart zu sich oder ihnen nahe stehenden Menschen, im schlimmsten Fall selbstgerecht, um die fehlende menschliche Wärme zu überspielen.
Trotzdem wäre der Serie Unrecht getan, würde man sie als nostalgisch, verklärend oder irgendwie exklusiv ostdeutsch labeln. Denn all die Figuren und ihre Geschichten spielen ja im Hier und Jetzt. Dass in der »Beauty Oase« die Handtücher extra kosten und beim Kaffee für unsympathische Kunden 1,50 Euro berechnet werden, hat ja nichts mehr mit der DDR zu tun. Den gepfefferten Monolog, den Kathi ihrem Ex-Mann Heiko zum Thema Unsichtbarkeit von Frauen jenseits der 40 und ihre Rolle für die Seelenhygiene der Männer an den Kopf haut, hat mit allem, aber nichts mit dem Osten zu tun.
Man merkt der Serie an, dass Regisseurin von Arnim viel Zeit in Marzahn verbracht hat, viel mit Katja Oskamp über Details gesprochen haben muss (wir sehen alle Arten von Füßen, ob wir es wollen oder nicht). Jördis Triebel ist im Marzahn der 80er Jahre aufgewachsen.
Die »Berliner Zeitung« hat diverse Marzahn*erinnen gefragt, ob sie die Serie kennen oder sie sich anschauen würden. Die meisten Älteren antworteten, dass sie gar kein Fernehen mehr schauen, weil eh nichts Spannendes komme, und wenn, dann wollten sie sich nicht wieder die Klischees von oben herab präsentieren lassen. Und genau das macht »Marzan mon amour« nicht.
Warum die ARD die Serie allerdings im linearen Fernsehen auf einem Sendeplatz um 23.50 Uhr verbuddelt hat, und um diese Uhrzeit auch noch alle sechs Folgen wegschleudert, wird für immer ihr Geheimnis bleiben. Für die, die sich mit dem Internet auskennen, ist diese Perle des Nah-dran-Erzählens in der Mediathek abrufbar.
»Marzahn mon Amour«, Freitag, 21.3., 23.50 Uhr, ARD oder in der ARD-Mediathek
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.