Hasch mich an der Grenze

Dieses Buch ist eine Wolke: Jakob Heins Komödie über deutsch-deutsche Grenzüberschreitungen

  • Mirco Drewes
  • Lesedauer: 4 Min.
Genossen, habt ihr was zu rauchen?
Genossen, habt ihr was zu rauchen?

Dass Franz Josef Strauß, deutschnationaler Hetzer, Kommunistenhasser und einst bayerischer Ministerpräsident, 1983 die am finanziellen Abgrund taumelnde Deutsche Demokratische Republik mit einem Milliardenkredit vor dem Ruin bewahrte, ist eines der merkwürdigsten Kapitel der deutsch-deutschen Geschichte. In den zunächst im Geheimen auf dem Gut des Großschlachters und Strauß-Intimus Josef Merz zwischen Strauß und DDR-Unterhändler Alexander Schalck-Golodkowski verhandelten Deal wurde im Nachgang gnädigerweise immerhin Bundeskanzler Helmut Kohl eingeweiht. Als der Kredit im Sommer 1983 bekannt wird, sind Außenminister Hans-Dietrisch Genscher und Finanzminister Gerhard Stoltenberg düpiert. Dem bajuwarischen Selbstverständnis mögen der Anspruch auf internationale Diplomatie und handfeste Außenpolitik entsprechen, ein politisches Mandat gab es nie.

Aus Sicht der DDR hatte Schalck-Golodkowski nicht weniger als das Kunststück vollbracht, den nahenden Staatsbankrott mit einem gewaltigen Devisenkreditgeschäft abzuwenden, für das verschmerzbare Gegenleistungen erbracht wurden: Die Führung versprach, die an den Todesstreifen installierten Selbstschussanlagen abzubauen, den Mindestumtausch bei Grenzübertritt für Jugendliche abzuschaffen, Ausreise und Familienzusammenführung zu erleichtern sowie die Grenzkontrollen für Westdeutsche erträglicher zu gestalten.

Dieser politisch höchst brisante Finanzdeal war so unwahrscheinlich wie skurril; ein Stück Politikgeschichte, das eher einer durchgeknallten Komödie zu entstammen schien, als dass es echt sein könnte. Und genau an dieser Stelle knöpft Jakob Hein mit seinem neuen Roman kongenial an.

Mit »Wie Grischa mit einer verwegenen Idee beinahe den Weltfrieden auslöste« spinnt er um dieses rätselhafte und wie vieles, womit Strauß zu tun hatte, vom Ruch extralegaler Selbstermächtigung umwobene Kapitel deutscher Geschichte eine raffinierte Hintergrundstory, die die ganze Wahrheit offenbart, eine federleicht abgespacte Komödie auf historischem Grunde. Berlinerisch und doppeldeutig könnte man sagen: Dieser Roman ist eine Wolke!

Hein mischt dabei Elemente einer Coming-of-Age-Geschichte mit den Genres sowohl des Schelmen- als auch des Behördenromans. Im Mittelpunkt steht mit Grischa Tannberg, Absolvent der Hochschule für Ökonomie »Wilhelm Leuschner«, ein junger und etwas nerdiger Filmfreund, der als ideologisch unbedarfter, opportunistischer junger Mann aus Gera, Anfang der 80er Jahre nach Ost-Berlin kommt, um seine Funktionärskarriere mit einer Stelle bei der Staatlichen Plankommission zu beginnen.

Persönlich von großer Harmlosigkeit, nahezu naiv, zeichnet sich Tannberg doch durch großen Lernwillen, Intelligenz, Eigenmotivation und eine sehr pragmatische Herangehensweise aus. Fähigkeiten, die ihn auf seinem Posten bei der PlaKo, zuständig für die Außenhandelsbeziehungen mit der Demokratischen Republik Afghanistan, schnell mit seinem Umfeld in Konflikt bringen. Frönt man dort hingebungsvoll dem Behördensport des »kunstvollen Wartens«, so zeichnet sich gerade Afghanistan dadurch aus, dass es im Land am Hindukusch scheinbar nichts zu handeln gibt, was die zuständige Abteilung prädestiniert für karriereförderliches Nichtstun.

Doch Grischa kann nicht anders: Gegen die Langeweile entwickelt er einen Afghanistan-Plan, der das Zeug hat, zum größten Devisengeschäft der DDR zu werden – und die BRD politisch schwer in Bredouille bringen könnte. Mit seinem Denken out of the box bringt er nicht nur die Behördenruhe kräftig durcheinander, sondern beschwört fast sogar die diplomatische Anerkennung der DDR durch die BRD herauf: Aus dem sozialistischen Bruderstaat wird Medizinalhanf, Schwarzer Afghane, eingeführt und das Haschisch in einem Deutsch-afghanischen Freundschaftsladen an geeignetem West-Berliner Grenzübergang an junge Klassenfeinde aus dem Westen vertickt.

Der Westen steht vor einem unauflösbaren Dilemma: Will man die massenweise Einfuhr des Cannabis aus der DDR nach West-Berlin unterbinden, müsste man auf westlicher Seite Grenzkontrollen einführen, was de facto einer Anerkennung der deutsch-deutschen Grenze gleichkäme, ein politisches Tabu. Die Alternative wäre zuzusehen, wie tagtäglich gewaltige Devisenbeträge in den Osten abfließen und die Jugend West-Berlins zunehmend in massenhafte Bekifftheit abgleitet. Vielleicht Zeit für die ganz große Scheckbuchdiplomatie?

Jakob Hein hat eine wunderbar mühelose und heitere Hasch-Komödie auf historischem Boden geschrieben. Seine raffinierte alternative Geschichtsschreibung spielt mit der verträumt süßen Idee, um wie viel Leid die deutsch-deutsche Geschichte ärmer wäre, hätte das Grenzregime der DDR weniger auf Selbstschussanlagen, dafür mehr auf Haschischhandel gesetzt.

Woher Jakob Hein die gute Laune nimmt, literarisch so über Deutschland in diesen Zeiten zu halluzinieren, mag sein Geheimnis sein, doch sie überträgt sich in der Lektüre, die gute Laune. Selbst wenn diese nicht vom Konsum vermeintlich sozialistischer Freundschaftsgüter begleitet ist. Und auch zur Frage, warum, um alles in der Welt, Cannabis und seine Entkriminalisierung immer noch ein so umstrittenes Thema ist, weiß Heins Protagonist Grischa Antwort: »Vielleicht ist der Stoff auch deshalb in den kapitalistischen Ländern so verteufelt, weil sich die Menschen unter seinem Einfluss so fühlen, als lebten sie schon im Sozialismus«. High five, Weedmob, zur Sonne, zur Freiheit!

Jakob Hein: Wie Grischa mit einer verwegenen Idee beinahe den Weltfrieden auslöste. Galiani Berlin, 256 S., geb., 23 €.

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