- Kultur
- Leipziger Buchmesse
Lachen Sie nicht zu früh!
Der norwegischen Literatur nachzuspüren, bedarf es stiller, unverdächtiger Wege
Zack, schon muss man einen Buchmessentext schreiben. So geht es zu im Elfenbeinturm des Feuilletons, worunter in Deutschland der Kulturteil einer Zeitung verstanden wird, was man den dann und wann durch die nd-Redaktionsräume geführten kubanischen Botschaftsdelegationen immer erst mal erklären muss. Denn es kapiert ja niemand, warum der teutsche Kulturteil mit einem französischen Wort bezeichnet wird, das eher die Klatschspalte in einer Zeitung meint (glaubt man den Kubanerinnen).
Norwegen ist das Gastland auf der Leipziger Buchmesse? Um der Wahrheit die Ehre zu geben, war mein Urgroßvater Mauritz ein Wirtschaftsmigrant aus Malmö, also Schwede. Meine Kompetenz genügt daher locker, um dem Feuilleton-Klatschteil eine komplette literarische Einheit zu bescheren, einen schwedischen Witz: Einmal haben die Schweden ihren dümmsten Mann nach Norwegen abgeschoben. Da stieg in beiden Ländern der Durchschnitts-IQ.
Lachen Sie nicht zu früh! Der Witz hinter dem Witz ist ja, dass die Norweger ihrerseits es immer wieder schaffen, ihren literarischen Ramsch nach Deutschland abzuschieben, wo er dann mit ein, zwei Jahrzehnten Verspätung als heißester Scheiß gefeiert wird. Es ist nicht lange her, dass man morgens auf dem Weg zur Arbeit verletzte Buchfreundinnen notversorgen musste, die, den letzten Knausgård in der Hand, vor die nächste Laterne geradelt waren. Oder erinnern wir uns an die 90er, jene Zeit, als es in Mode kam, minutenlang in Büchern auf bunte S-Bahn-Bezüge zu starren, in der vagen Hoffnung, ein 3D-Bild möge sich aus dem Kuddelmuddel erheben. In dieser Zeit fand auch der Triumphzug des Autors Jostein Gaarder statt, der mit »Sofies Welt« ein Philosophie-Schulbuch für Achtklässler geschrieben hatte, dass in Deutschland als literarische Offenbarung begrüßt wurde und bald, wie »Die Möwe Jonathan«, in keinem Regal mehr fehlen durfte.
Solcherart ist die Literatur der Norweger. Oder jedenfalls das, was sie uns zeigen. Ich habe mal ein paar Jahre Skandinavistik studiert und kann versichern: Die norwegische Literatur, uralt und voller schrundiger Abgründe, hat so ihre Wege, die Neugierigen außen vor zu halten; nicht ganz ungefährlich ist der Umgang mit ihr. Am Skandinavischen Seminar in Göttingen hatten wir exakt einen Professor, den sogenannten Lehrstuhlinhaber. Morgens tauchte er weit vor der Zeit im Seminar auf, um dann, gegen elf, mit den nie erklärten Worten »Ich muss dann mal« wieder zu verschwinden. Dieser Lehrstuhlinhaber hatte sich so ausdauernd mit norwegischen Klassikern beschäftigt – sie hatten sein Hirn beeinflusst: Las man die Erzählungen und Romane, die er seit den 70ern referierte, so standen ganz andere Dinge darin, als er geweissagt hatte!
Seitdem weiß ich: Der norwegischen Literatur nachzuspüren, bedarf es stiller, unverdächtiger Wege. Auf der Hundewiese in Berlin habe ich mal eine Norwegerin, die von Beruf Popstar war, und ihren Mops kennengelernt. Der Popstar hatte einen sehr netten Freund, mit dem es mir binnen weniger Jahre mich anzufreunden gelang. Auf einer Café-Terrasse nahe dem Mauerpark hatten wir eines der schönsten Gespräche: Niko sprach Englisch, Hilfsdeutsch und Norwegisch durcheinander, ich hingegen brillierte mit Fantasie-Englisch, Lübsch und Langsam-Schwedisch (damit der Norweger mitkäme). Jävlar, was für ein wunderbarer Nachmittag das war! Die Sonne beschien uns angemessen zurückhaltend, nach und nach erfuhr ich von den großartigen Buchprojekten, die in dem freundlichen, sachlichen, feinen blonden Kerl schlummerten.
Erstens würde er über den legendären Bergenser Architekten Leif Grung schreiben, der 1945 in den Freitod ging. Hatte ihn die norwegische Nach-Besatzungs-Gesellschaft ausgestoßen? War er Kollaborateur der Deutschen gewesen oder doch Doppelagent? Hatte er Widerständlern zur Flucht verholfen? War er das Opfer von Neid und Intrige? Dies in einer vornehm schweigenden Bergenser High Society zu recherchieren, war Niko angetreten, und es wurde ein sehr schönes Buch daraus, das Sie hier unten in Deutschland, liebe Buchmessenfreundis, niemals zu lesen bekommen werden.
Äußerst berührend erzählte er mir auch vom Schicksal seines Großvaters, der tief in einem Schiffsrumpf, in schneidend kalter Polarnacht, bei infernalischem Lärm, absoluter Dunkelheit und in unaufhörlicher Todesangst, von einem britischen Schlachtschiff aus auf deutsche Schiffe schoss und von ihnen beschossen wurde. Schlacht am Nordkap. Erst viele Jahrzehnte später begann Nikos Großvater darüber zu sprechen. Und auch daraus ist dann ein beeindruckendes Buch geworden.
So saßen wir und sprachen – vor einem Ostberliner Häuserblock, der heute, Gerüchten zufolge, dem deutschen Dichter und Denker Till Lindemann gehören soll. Mir fiel Aksel Sandemose ein, der norwegische Klassiker, der nie wirklich nach Deutschland gefunden hat, weil seine düsteren grandiosen Werke entweder gar nicht oder nur mies übersetzt worden sind: »Varulven« etwa, der Werwolf. Auch hier geht es um die deutsche Besatzung, geht es um Widerstand und Verrat, um undurchschaubare, tödliche Abrechnungen in jenem Strudel, mit dem das alte, böse Regime unterging und Menschenleben auf allen Seiten mit sich riss.
Da weiß man dann wieder, wo man steht, literaturmäßig, so als Deutscher. Wir haben Kerkeling, Kracht und Zeh, und wir glauben, dass wir mitreden können. Und um Ihnen, liebe Lesis, ein bisschen was zum Mitreden zu geben und um Ihren berechtigten Klatschdurst zu befriedigen, habe ich meinen anderen Norweger angeschrieben, Kjetil, einen äußerst vertrauenswürdigen Mann, der schon mal bis nach Wolfsburg gefahren ist, um dort mit mir den VfB Lübeck in einem Zweitligaspiel anzufeuern. Dieser Kjetil, heute Literaturkenner von Rang, teilt mit: Von Literaturskandalen wisse er leider nichts, jedoch habe es zuletzt folgende bemerkenswerte Bücher gegeben: Ingrid Storholmen, »Bloddråpetall«. Sigbjørn Skåden, »Planterhaug«. Und Kathrine Nedrejord, Sameproblemet.
Somit haben Sie hier zuerst gelesen, was Sie nie gelesen haben werden. Und wenn man mal ehrlich ist, selbst ich als Schwede: Die Norweger sind schon furchtbar nette Leute, wirklich, aber sie haben halt nie eine Agnetha Fältskog gehabt.
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