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Alena Buyx: »Ich bin doch nicht wahnsinnig!«

Alena Buyx wünscht sich Reformen im Gesundheitssystem. Sie macht sich zudem Sorgen wegen des Aufstiegs der AfD und der Gehirnchips von Elon Musk

  • Interview: Philipp Hedemann
  • Lesedauer: 8 Min.
»Leben und Sterben. Die großen Fragen ethisch entscheiden« heißt das neue Buch von Alena Buyx, das am Mittwoch erscheint.
»Leben und Sterben. Die großen Fragen ethisch entscheiden« heißt das neue Buch von Alena Buyx, das am Mittwoch erscheint.

Gut gelaunt kommt Alena Buyx mittags an einem Frühlingstag zum Interview in ein Restaurant in Berlin-Prenzlauer Berg. Fast eine Stunde lang redet sie konzentriert über das Leben und den Tod, von der Befruchtung der Eizelle im Labor bis zum Sterben auf der Intensivstation. Auch knapp ein Jahr, nachdem sie das Amt als Vorsitzende des Deutschen Ethikrates aufgegeben hat, ist sie eine viel beschäftigte Frau mit großem Sendungsbewusstsein.

Frau Buyx, was muss die neue Gesundheitsministerin oder der neue Gesundheitsminister jetzt anpacken?

Da habe ich sehr klare Empfehlungen. Das Gesundheitswesen muss gegenüber dem Fachkräftemangel, dem demografischen Wandel – wir leben in einer vergleichsweise alten Gesellschaft – und gegenüber Krisen widerstandsfähiger gemacht werden.

Auf welche Krisen muss Deutschland sich vorbereiten?

Es gibt Stellungnahmen vom Expertenrat »Resilienz und Gesundheit« dazu, in dem ich Mitglied war: Das deutsche Gesundheitssystem muss sich beispielsweise besser auf Krieg in unserer Nachbarschaft vorbereiten. Wir haben in Deutschland bereits ukrainische Kriegsverletzte versorgt. Das sollte man weiterdenken. Die Entwicklung der geopolitischen Lage zeigt: Wir dürfen keine Scheuklappen haben. Was passiert im Bündnis- oder gar Verteidigungsfall? Was passiert, wenn es zu einem größeren Anschlag kommt? Und natürlich müssen wir uns auf weitere Pandemien und die Effekte des Klimawandels auf die Gesundheit vorbereiten.

Interview

Alena Buyx (47) ist Professorin für Ethik der Medizin und Gesundheitstechnologien sowie Direktorin des Instituts für Geschichte und Ethik der Medizin an der Technischen Universität München. Während der Coronakrise war sie die Vorsitzende des Deutschen Ethikrates und wurde für ihren Einsatz für den gesellschaftlichen Zusammenhalt während der Pandemie geehrt, aber auch hart angegriffen. Jetzt hat sie ein Buch geschrieben. »Leben und Sterben« soll helfen, die großen Fragen ethisch zu entscheiden. Buyx ist verheiratet und hat mit ihrem Mann zwei Söhne.

Ihrem neuen Buch »Leben und Sterben« gehen Sie der Frage nach, wie Entscheidungen über Leben und Tod ethisch getroffen werden können. Fangen wir bei der Entstehung des Lebens an. Die Pränataldiagnostik kommt immer häufiger zum Einsatz. Führt das zu einer Stigmatisierung von Menschen mit Behinderung?

Das sogenannte Kränkungsargument besagt, dass werdende Eltern, die sich nach einem entsprechenden Befund bei der Pränataldiagnostik entscheiden, eine Schwangerschaft abzubrechen, um nicht ein Kind mit Behinderung zur Welt zu bringen, damit auch eine Abwertung von Menschen mit Behinderung zum Ausdruck bringen, die sich dadurch gekränkt fühlen können.

Aber Frauen und Paare, die sich in solchen Fällen für einen Schwangerschaftsabbruch entscheiden, haben doch gar nicht die Absicht, Menschen mit Behinderung zu kränken …

Richtig. Wer sich in einem solchen Fall für den Schwangerschaftsabbruch entscheidet, macht zunächst lediglich Gebrauch von seinem Recht auf reproduktive Selbstbestimmung. Aber wenn – auch aufgrund von pränataler Diagnostik – immer weniger Kinder mit bestimmten Behinderungen geboren werden, kann das dazu führen, dass Menschen mit Behinderung und ihre Familien stärker stigmatisiert werden. Eltern von Kindern mit Behinderung werden ja durchaus mal gefragt: »Warum haben Sie das denn nicht verhindert? Das wäre ja nun wirklich nicht nötig gewesen.« Das ist für die Betroffenen natürlich fürchterlich.

Was kann dagegen getan werden?

Menschen mit Behinderung und ihre Angehörigen sagen völlig zu Recht, dass das Klima für sie gerade nicht gerade besser wird. Wir müssen für ein gesellschaftliches Klima sorgen, das Vielfalt toleriert.

Macht Ihnen der Erfolg der AfD deshalb Sorge?

Ja, der Erfolg der AfD macht mir Sorge, denn wir wissen, dass rechtsradikale Ideologien sich Merkmale wie Hautfarbe oder Behinderung raussuchen, um zu behaupten: »Du bist nicht so viel wert wie jemand, der diese Hautfarbe oder diese Behinderung nicht hat.« Und wenn wir uns die Medizingeschichte anschauen, sehen wir, dass es etwa im Nationalsozialismus die fürchterlichsten, grauenhaftesten Krankenmorde gegeben hat. Deshalb sollte die gegenwärtige politische Entwicklung uns auch in dieser Hinsicht wirklich große Sorgen machen.

Elon Musks Firma Neuralink will weiteren Patienten Chips ins Gehirn implantieren, um so unter anderem Parkinson, Demenz und Depression zu behandeln. Würden Sie sich von Elon Musk einen Chip ins Gehirn implantieren lassen?

Ich kann mich ja für Neues begeistern und sehe auch in dieser Technologie durchaus Potenzial, aber mir von Elon Musk bzw. seinem Unternehmen einen Chip einbauen zu lassen, wäre das Letzte, was ich machen würde. Never ever! Ich bin doch nicht wahnsinnig!

Das war deutlich. Warum würden Sie Elon Musk nicht an Ihr Gehirn lassen?

Mithilfe des Chips könnte man ja über meine neuronalen Aktivitäten möglicherweise Ableitungen machen. Bei dem, was umgangssprachlich als »Gedankenlesen« bezeichnet wird, wurden zuletzt mit KI irrsinnige Fortschritte gemacht. Zudem könnten über den Chip auch Impulse an mein Gehirn geschickt werden. Es ist vielleicht noch ein bisschen Science-Fiction, aber schon bald könnte man so von außen gewisse Kontrollfunktionen ausüben.

In Ihrem neuen Buch beschäftigen Sie sich auch ausführlich mit dem Tod und raten Ihren Leserinnen und Lesern, eine Patientenverfügung abzuschließen. Seit wann haben Sie selbst eine Patientenverfügung?

Eine erste schon sehr lange, mal wieder aktualisiert habe ich sie, als ich mich vor einiger Zeit einer kleinen Operation unterziehen musste.

Aber die meisten Leute wollen sich aus nachvollziehbaren Gründen nicht mit ihrem Tod auseinandersetzen.Warum sollte man es dennoch tun?

Lassen Sie mich mit zwei Zahlen antworten. In Deutschland sterben über 70 Prozent der Menschen in einer Einrichtung des Gesundheitswesens. Die schöne Vorstellung, dass wir zu Hause gemütlich im Kreis der Familie entschlafen, ist für die meisten Menschen also keine Realität.

Und die zweite Zahl?

Fast 11 Prozent aller Menschen – ich bin fast vom Stuhl gefallen, als ich das Ergebnis dieser Studie aus dem Jahr 2024 las – sterben in Deutschland unter künstlicher Beatmung. So will man wirklich nicht sterben, wenn es irgendwie geht. Das sage ich in aller Anerkennung der Kolleginnen und Kollegen, die sich um diese Patienten kümmern. Aber wir sollten alle ein bisschen mehr darüber nachdenken, wie wir unser Leben und eben auch unser Lebensende gestalten wollen.

Beim selbstbestimmten Sterben spielt auch die aktive Sterbehilfe eine Rolle. In Belgien, Holland und Luxemburg dürfen Ärztinnen und Ärzte unheilbar Kranken auf deren Wunsch ein tödliches Mittel verabreichen. Sollte die aktive Sterbehilfe auch in Deutschland legalisiert werden?

Ich denke über diese Frage seit Langem nach und halte aktive Sterbehilfe für ethisch begründbar. Dennoch plädiere ich nach Abwägung der verschiedenen Pro- und Contra-Argumente nicht dafür, sie in Deutschland einzuführen.

Was spricht für die aktive Sterbehilfe?

Vor allem die Selbstbestimmung, das Argument: »Ich will möglichst selbst bestimmen, wann und wie ich sterbe.« Dagegen zu argumentieren, ist durchaus schwer, denn in einer freiheitlichen Demokratie ist Selbstbestimmung ein sehr hohes Gut.

Warum plädieren Sie dennoch nicht für die Legalisierung der aktiven Sterbehilfe?

Beim ärztlich assistierten Suizid setzt der Patient seinem Leben zum Beispiel durch das Trinken eines Medikamenten-Cocktails selbst ein Ende. Bei der aktiven Sterbehilfe hingegen ermächtigt der Patient den Arzt dies zu tun. Die sogenannte Tatherrschaft liegt damit beim Mediziner. Viele Kolleginnen und Kollegen sagen: Töten soll prinzipiell nicht Teil unserer Praxis sein. Andere sagen, die übertragene Verantwortung sei einfach zu groß. Wieder andere verweisen auf die bestialischen Tötungen durch Mediziner zur Zeit des Nationalsozialismus. Und andere haben Angst vor einem Normalisierungseffekt. Sie befürchten, dass ältere oder kranke Menschen die aktive Sterbehilfe als vermeintlich »einfachen« Ausweg sehen könnten, um Krankheit und Pflegebedürftigkeit zu entgehen oder sich sogar gesellschaftlich unter Druck gesetzt fühlen könnten, aktive Sterbehilfe in Anspruch zu nehmen.

Zu Beginn der Corona-Pandemie sagte Tübingens Oberbürgermeister Boris Palmer: »Wir retten in Deutschland möglicherweise Menschen, die in einem halben Jahr sowieso tot wären – aufgrund ihres Alters und ihrer Vorerkrankungen«. Er wurde dafür scharf kritisiert. Zu Recht?

Ja. Erstens gibt es inzwischen Studien, die zeigen, dass die Menschen, von denen Herr Palmer sprach, nicht nur noch ein paar Monate, sondern noch ein paar Jahre vor sich hatten. Viel wichtiger aber: Die Idee, dass es eine bestimmte Gruppe Menschen gibt, die man einfach mal sterben lassen kann, ist aus ethischer Perspektive natürlich hochproblematisch.

Ebenfalls zu Beginn der Pandemie sagte der damalige Gesundheitsminister Jens Spahn: »Wir werden in ein paar Monaten einander wahrscheinlich viel verzeihen müssen.«

Ich finde nach wie vor: Das ist einer der klügsten und hellsichtigsten Sätze, die während der Pandemie gesagt wurden.

Warum?

Weil es eine ehrliche Aussage dazu war, dass man in so einer Jahrhundertkrise sehr schwere Entscheidungen zu treffen hat und man sich oft zwischen zwei oder mehreren Übeln entscheiden muss – es also nicht einen einfachen und guten, sondern nur den am wenigsten schlimmen Weg gibt. Und das auch noch, wenn man noch nicht alles weiß, bzw. sich Wissen weiter ändert.

Sie waren während der Corona-Pandemie Vorsitzende des Deutschen Ethikrates. Muss auch Ihnen verziehen werden?

Wir haben spät, aber immerhin als eines der ersten Beratungsgremien gesagt, dass wir unsere Aufmerksamkeit rückblickend zu wenig auf Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene gerichtet haben. Das haben wir sehr bedauert. Zum Ende der Pandemie haben wir deshalb – auch in Hinblick auf kommende Pandemien – etwas zur psychischen Gesundheit der jungen Generation in solchen Krisen gemacht.

Was haben wir denn aus Corona gelernt?

Es wurden verschiedene strukturelle Veränderungen im Gesundheitswesen vorgenommen. Und es gibt sehr viel mehr praktisches Wissen, wie man einer Pandemie dieser Art begegnet. Zudem hat es einen Digitalisierungsschub gegeben. Alles nicht genug, aber immerhin. Nur geheilt haben wir bislang, glaube ich, deutlich zu wenig.

Wie können die Corona-Wunden geheilt werden?

Zu den emotionalen und psychischen Wunden, die gesellschaftlich so belastend sind: Wir sollten gemeinsam Wege finden, diese absolut irrsinnige, anstrengende, grässliche, angstbesetzte und verlustreiche Zeit ein Stück weit aktiv zu bearbeiten und zu bewältigen.

Warum ist das bislang nicht gelungen?

Es liegt unter anderem daran, dass im Frühjahr 2022, als viele gehofft hatten: »Jetzt kommt ein Sommer, in dem wir endlich wieder durchatmen können«, Russland die Ukraine überfallen hat – und seitdem ist Pandämonium.

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