Frauen in der USPD: Die vergessenen Genossinnen

Hartfrid Krause hat eine Hommage auf die Frauen der USPD verfasst

Ein Wahlplakat, auf dem mal nicht nur Männer zu sehen sind wie vielfach in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts
Ein Wahlplakat, auf dem mal nicht nur Männer zu sehen sind wie vielfach in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts

Auch linke Parteien hatten lange Zeit Probleme mit selbstbewussten, starken Frauen. Man denke nur an die Wortgefechte der jungen Rosa Luxemburg mit der Altmännerriege an der Spitze der SPD um Wilhelm Liebknecht und August Bebel. Auch wenn Letzterer sehr verdienstvoll die vollkommene Gleichberechtigung der Geschlechter in seinem unvergessenen seinerzeit in der Arbeiterschaft und unter progressiven Intellektuellen viel gelesenen und mehrfach verlegten Werk »Die Frau und der Sozialismus« gefordert hatte. Selbst eine so erfahrene und anerkannte Politikerin und Publizistin wie Clara Zetkin hatte es nicht leicht mit den führenden Genossen in der Sozialdemokratie sowie später in der KPD. Nicht viel anders verhielt es sich in der USPD, der sich im April 1917, mitten im Ersten Weltkrieg und wider die Burgfriedenspolitik des Parteivorstandes der SPD abspaltenden Unabhängigen Sozialdemokratischen Partei Deutschland. Von den 44 Rednern auf deren Gründungsparteitag waren nur drei weiblich: Rosi Wolfstein, Mathilde Wurm und Luise Zietz. Klangvolle Namen, historisch Interessierten durchaus noch heute geläufig. Ansonsten ist über die Frauen der USPD wenig bekannt, sie wurden von der Forschung bisher eher missachtet.

Hartfrid Krause, Jahrgang 1942, Lehrbeauftragter an der Goethe-Universität Frankfurt am Main sowie zeitweilig Schuldirektor, will diese Lücke füllen. Nachdem der Darmstädter vor vier Jahren eine voluminöse, über 600-seitige Geschichte der USPD vorgelegt hat, widmet er sich nun verdienstvoller Weise deren Genossinnen. Nicht ohne in seinem Vorwort auf die Pionierarbeit der Historikerin und Feministin Gisela Notz zu verweisen.

Der Leser sollte sich nicht abschrecken lassen vom überwältigenden statistischen Material, das Krause zunächst ausbreitet, bevor er auf die Partei- und Parlamentsarbeit der USPD-Frauen näher eingeht und Kurzbiografien bietet. Nicht überraschen dürfte die Tatsache, dass die mitgliederstärksten Bezirke der Unabhängigen Sozialdemokraten mit jeweils über 60 000 Mitgliedern Berlin, Sachsen, Niederrhein, Leipzig und Thüringen waren, Großstädte und Industrieregionen, und die Partei auf dem Lande weniger präsent war. Nicht viel anders verhielt es sich mit den anderen Arbeiterparteien.

Von Neuigkeitswert hingegen, dass die USPD-Frauen insgesamt sechs Jahre jünger als die USPD-Männer waren; ihr Durchschnittsalter betrug 30,9 Jahre, das der Männer 36,8 Jahre, wie hier akribisch errechnet. Etwas mehr als zwei Drittel der USPD-Frauen waren jünger als 40 Jahre, schreibt Krause, nur zehn Prozent älter als 50. Mindestens die Hälfte war mit USPD-Männern verheiratet. Unter den 21 mit den Wahlen vom 19. Januar 1919 in die Nationalversammlung der jungen Weimarer Republik einziehenden USPD-Mitgliedern waren drei weiblich. Auch auf den Parteitagen habe es ein deutliches Gefälle gegeben, kritisiert der Autor. Der Anteil der männlichen Delegierten sei mindestens zehnmal so groß gewesen wie der Anteil der weiblichen. Dass letztere zumeist, im Gegensatz zu den Männern, zumeist nur einmal am obersten Debattengremium der Partei teilnahmen, erkläre sich aus deren Doppelt- beziehungsweise gar Dreifachbelastung als Hausfrau, Mutter und/oder Werktätige.

Gleiches gelte für deren parlamentarische Tätigkeit. Viele Neuparlamentarierinnen frustrierte über kurz oder lang der zeitliche und kräftemäßige Aufwand, die lange Anreise nach Berlin sowie innerparteiliche Streitigkeiten. Ermüdungs- und Ernüchterungserscheinungen stellten sich ein, schreibt Krause.

Eine besondere Zäsur stellte das Jahr 1920 dar. Nach dem Austritt der linken Mehrheit der USPD im September und deren Übertritt zur KPD auf dem sogenannten Vereinigungsparteitag im Dezember des Jahres zogen sich viele ehemals engagierte Mitglieder enttäuscht zurück; der »Rest« kehrte zwei Jahre später in den Schoß der SPD zurück. Der Knackpunkt damals war die umstrittene Frage, ob man sich der im März 1919 in Moskau gegründeten III., der Kommunistischen Internationale (KI) anschließen oder der II. Internationale treu bleiben sollte. Dies wurde damals heftigst und äußerst kontrovers in der Parteipresse und auf den Parteitagen debattiert.

Interessant, wenn auch nicht verwunderlich ist die Erkenntnis aus Krauses Recherchen, dass junge USPD-Frauen sich mehr von den auf unmittelbare Aktion drängenden radikalen Genossen wie Walter Stoecker und Ernst Däumig versprachen (die beide zur KPD wechselten; letzter verhandelte mit der KI-Führung über den Beitritt), während die älteren Genossinnen den erfahrenen Parteivorsitzenden wie Wilhelm Dittmann, Hugo Haase und Georg Ledebour vertrauten. Fast jede vierte USPD-Frau unter 30 Jahren stimmte für den Anschluss an die KI. Das »Phänomen«, das jüngere Parteimitglieder, egal welchen Geschlechts, radikaler und resoluter auftreten, kennt auch die jüngere Vergangenheit sowie die Gegenwart.

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Im zweiten Kapitel beleuchtet Krause die Parlaments- und Parteiarbeit der USPD-Frauen eingehender. In dieser hatten Themen wie Erziehung, Schule und Gesundheit Vorrang. Die USPD-Genossinnen befassten sich aber auch ernsthaft mit Grundsatzfragen wie Krieg und Frieden, Ausbeutung und Entrechtung sowie Gleichberechtigung der Geschlechter in Gesellschaft und Familie, am Arbeitsplatz und in der Partei. Den größten Raum im Buch nehmen die Kurzbiografien ein. Allein diese zusammenzustellen, kam einer Kärrnerarbeit gleich. Die Quellenlage ist schwierig und lückenhaft. Krause stützte sich insbesondere auf Mitgliederlisten, Parteitagsprotokolle und Polizeiakten. Den Autor interessierten nicht nur Geburts- und Sterbedaten, sondern auch soziale Herkunft, Bildungswege, Berufe und Berufung, politische und ehrenamtliche Betätigung sowie das Schicksal nach 1933 sowie Leben und Wirken nach der Befreiung vom Faschismus, so diese zu erleben den einstigen USPD-Frauen vergönnt war.

Krause kommt zu dem Schluss, dass die Frauen in der USPD, obwohl unterrepräsentiert in Leitungsfunktionen, Politik und Parteipolitik wesentlich mitgeprägt und mitgestaltet haben. Sein Buch ist eine Hommage an vergessene Aktivistinnen und Vorkämpferinnen für Freiheit, Gleichheit und Gerechtigkeit.

Hartfrid Krause: Die Genossinnen in der USPD. Westfälisches Dampfboot, 197 S., br., 25 €.

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