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Cannabis-Entkriminalisierung »zurückgedreht«?
Cannabis-Verbände besorgt wegen Rückschritten mit der neuen Koalition.
Es ist nur ein Satz von einer Reporterin der »Welt« in einer Live-Schalte zu den Koalitionsverhandlungen am Montag, der viele engagierte Cannabis-Nutzer*innen aufhorchen lässt. CDU/CSU und SPD seien sich nicht überall uneinig. »Die AG Justiz beispielsweise hat beschlossen, dass die Cannabis-Legalisierung wieder zurückgedreht werden soll«, so die Reporterin des Springer-Senders. Der Deutsche Hanfverband (DHV) verbreitet den Ausschnitt mit der Aussage in den sozialen Medien und frug die SPD und ihre Bundestagsabgeordnete Carmen Wegge, was bei den Koalitionsverhandlungen los sei. Wegge, die auf sozialdemokratischer Seite in der Ampel leidenschaftlich für die Entkriminalisierung gekämpft hatte, antwortete dem Hanfverband. Man habe zwar vereinbart, nichts zu den Koalitionsverhandlungen zu sagen. »Aber ich sitze da drin … also bitte …«, so die sozialdemokratische Cannabis-Befürworterin.
Einem Aus für die Cannabis-Entkriminalisierung erteilt Wegge zwar eine Abfuhr, wie es aber weitergeht mit dem legalen Konsum, Besitz, Anbau und möglicherweise sogar Handel mit Cannabis, das teilt auch sie nicht mit. Cannabis-Nutzer*innen müssen also weiter mit bangem Blick auf die Koalitionsverhandlungen schauen.
Rückblick: Seit dem ersten April 2024 ist es Erwachsenen in Deutschland erlaubt, 50 Gramm Cannabis zu besitzen, drei blühende Pflanzen sind im Eigenanbau gestattet und seit dem ersten Juli darf man Mitglied einer Anbauvereinigung werden. Das Ampel-Gesetz zur Cannabis-Entkriminalisierung erntete viel Kritik. Handwerklich blieb einiges fragwürdig. Etwa wieso der Besitz von Cannabis schon Monate vor der Gründung erster Anbauvereinigungen erlaubt wurde. Cannabis-Befürworter kritisierten vor allem das Fehlen eines kommerziellen Marktes. Für Gelegenheitskonsument*innen sei weder der Eigenanbau noch die Mitgliedschaft in einer Anbauvereinigung attraktiv.
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Nun, rund um den ersten Jahrestag der Entkriminalisierung und parallel zur Vorstellung von allerlei Polizeistatistiken, gibt es wieder zahlreiche politische Äußerungen zum Thema. Konservative Politiker*innen verwiesen darauf, dass Anbauvereinigungen und Eigenanbau den Bedarf von Konsument*innen nicht stillen könnten. Der Schwarzmarkt werde durch die großzügige Menge von 25 Gramm Cannabis, die alle Erwachsenen bei sich tragen dürfen, beflügelt. Cannabis-Befürworter*innen kritisieren besonders, dass die Erteilung von Genehmigungen für Anbauvereinigungen schlecht läuft. In Bayern hat bislang kein Cannabis-Club eine Lizenz erhalten. Auch in anderen Bundesländern ist die Erteilung von Genehmigungen schleppend gelaufen. Nur wenige Clubs haben bislang die erste Ernte an Mitglieder ausgegeben. Die Zahl der polizeilich erfassten »Rauschgiftkriminalität« ging im vergangenen Jahr in allen Bundesländern zurück. In Nordrhein-Westfalen sank die Zahl der Delikte um 34 Prozent. In den Stadtstaaten Hamburg und Bremen ging die Zahl der Delikte um über 40 Prozent zurück.
Was heißt das alles für die Koalitionsverhandlungen? Das ist schwer zu sagen. Thorsten Frei, enger Vertrauter von Friedrich Merz, ließ schon Ende Februar auf eine Frage bei der Plattform abgeordnetenwatch.de durchblicken, dass Cannabis nicht zu den Schwerpunkten bei den Koalitionsverhandlungen gehören werde.
Was ist also zu erwarten? Georg Wurth vom Deutschen Hanfverband will gegenüber »nd« keine »detaillierten Worst-Case-Szenarien in die Welt setzen«, es gäbe viele Möglichkeiten, das Cannabisgesetz zu verschärfen. Im Wahlkampf habe die Union »polemisiert«, ohne konkrete Änderungsforderungen zu nennen. Medial werde vielfach die einfache Verschreibung von medizinischem Cannabis kritisiert. Von Polizeigewerkschaften gebe es Kritik an der 25-Gramm-Grenze und zu wenig Kontrollmöglichkeiten gegenüber dem Eigenanbau und den Vereinigungen. »Wir halten das alles für aufgeblasene Pseudoprobleme und hoffen, dass gar keine Rückschritte vereinbart werden«, so Wurth. Außerdem verweist der Geschäftsführer des Hanfverbands auf die Evaluierung des Cannabisgesetzes. Mit einem ersten Bericht ist im Oktober zu rechnen. Nach zwei Jahren soll das gesamte Gesetz evaluiert werden.
Was gäbe es aus Sicht des Hanfverbands zu verbessern? Wurth sagt, viele Details müssten »realitätstauglicher« werden, etwa die niedrige Maximalmenge im Eigenanbau oder die Überregulierung der Anbauvereinigungen. Am wichtigsten sei es aber, das Fehlen von Cannabis-Fachgeschäften für Erwachsene zu beheben. In vielen Städten gebe es Anträge für wissenschaftlich begleitete Modellprojekte. »Die neue Regierung sollte den Mut haben, diese Projekte zu genehmigen«, fordert Wurth.
Michael Greif, Geschäftsführer des Branchenverbands der Cannabis-Wirtschaft sieht das ähnlich. »Am wichtigsten ist einerseits die Genehmigung von wissenschaftlichen Modellprojekten zur regulierten Abgabe von Genuss-Cannabis, um den Schwarzmarkt wirkungsvoller zurückzudrängen und wertvolle Erkenntnisse zu gewinnen«, erklärt der Cannabis-Wirtschaftsvertreter gegenüber »nd«. Für Greif ist außerdem wichtig, dass ein Nutzhanfliberalisierungsgesetz verabschiedet wird. Es würde viele »Klarstellungen« enthalten, die den Handel mit Nutzhanf vereinfachen würden. In Bezug auf die Koalitionsverhandlungen befürchtet Greif eine komplette Rücknahme der Reformen aus dem vergangenen Jahr und warnt vor den Folgen. »Das würde Arbeitsplätze und Steuereinnahmen in Deutschland kosten, unsere Importabhängigkeit erhöhen und zu Schadensersatzansprüchen in Millionenhöhe gegen den Staat führen. Wir hoffen, dass es nicht so weit kommt«, so der Geschäftsführer des Branchenverbands. Für denkbar hält Greif auch, dass es »lediglich zu Einschränkungen oder strengeren Kontrollen zum Beispiel bei der telemedizinischen Verschreibung kommt«. Wie es wirklich weitergeht, wird wohl erst der Koalitionsvertrag zeigen.
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