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Saisonarbeiter sind unmenschlich untergebracht
Gewerkschaftlicher Jahresbericht zeigt Missstände in der landwirtschaftlichen Saisonarbeit auf
Durchgelegene Matratzen in überbelegten und ungedämmten Metallcontainern, keine Privatsphäre und unzureichende sanitäre Anlagen: Unter solchen und ähnlichen Bedingungen sind viele ausländische Saisonarbeitskräfte in der Landwirtschaft untergebracht, die etwa während der Spargel- oder Erdbeerernte beschäftigt werden. Das geht aus dem aktuellen Jahresbericht hervor, den die Initiative Faire Landarbeit am Dienstag zum Beginn der Spargelsaison vorstellte.
Das Bündnis aus Gewerkschaften und Beratungsstellen hat dazu nach eigenen Angaben im Jahr 2024 in 40 Feldbesuchen insgesamt 3100 Wanderarbeiter*innen befragt. Die meisten kommen aus Rumänien und Polen. Aber auch aus Ländern wie Usbekistan und Indien werden viele für die Arbeit auf hiesigen Feldern angeworben.
Fokus auf Unterkünfte
Die im aktuellen Bericht gesammelten Fallbeispiele fokussieren sich auf die Themen Mietkosten und Unterbringung, »bei denen Verstöße an der Tagesordnung sind«, wie es heißt. Zwar hatte die Ampel-Regierung im vergangenen Jahr ein Übereinkommen der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) ratifiziert, wonach Unternehmen verpflichtet sind, den Saisonarbeitskräften menschenwürdige Unterkünfte zur Verfügung zu stellen. »Doch die Realität ist davon weit entfernt«, kritisiert Harald Schaum, Vizebundesvorsitzender der IG BAU.
Hinzu komme, dass Unterkünfte etwa in Immobiliengesellschaften ausgelagert würden, wodurch die Beschäftigten ihre Miete separat meist über informelle Wege zahlen müssten. Dadurch werden gesetzliche Obergrenzen ausgehebelt, die aktuell bei 350 Euro liegen, sodass sich die Kosten oft auf mehr als die Hälfte der Nettolöhne belaufen. »Sie zahlen bis zu 800 Euro für ein Bett in einem Mehrbettzimmer und Verpflegung. Das sind Mieten bis zu 60 Euro pro Quadratmeter«, kritisiert Schaum und fordert, dass die Unternehmen für die Kosten aufkommen sollen.
Und die Arbeitsbedingungen sind hart: Manchmal müssten die Saisonarbeiter*innen laut Bericht bis zu zwölf Stunden am Tag arbeiten. Teils seien Tage aufgrund von Regen und Hochwasser nicht entlohnt worden. Die Abrechnung erfolgte vielfach intransparent, wodurch die Beschäftigten keine Möglichkeit hatten, ihre Löhne und Erntemengen nachzuprüfen.
Arbeiterinnen besonders betroffen
Das geht für die Beschäftigten oft mit finanziellen Abhängigkeiten einher, die für Frauen besonders dramatische Folgen haben können. Sie machen etwa 44 Prozent aller Saisonbeschäftigten aus, wie aus Zahlen des Statistischen Bundesamts hervorgeht. Mangelnde Privatsphäre, nicht abschließbare Zimmer oder gemischtgeschlechtliche sanitäre Anlagen erhöhten für sie das Risiko sexueller Gewalterfahrung.
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Dies wurde im aktuellen Bericht erstmals seit Beginn der Reihe im Jahr 2018 in den Blick genommen. Konkrete Zahlen dazu gibt es allerdings nicht, da die Dunkelziffer extrem hoch ist, erklärt Studienautorin Kateryna Danilova. Sie ist Branchenkoordinatorin für das Baugewerbe und die Landwirtschaft beim Europäischen Verein für Wanderarbeiterfragen.
Für die Arbeiterinnen ist es aufgrund ihrer finanziellen Abhängigkeit oft schwer, sich gegen die Täter zu wehren. In allen dokumentierten Fällen waren es Vorarbeiter, die ihre Machtposition ausnutzten, indem sie den Frauen für sexuelle Handlungen etwa bessere Arbeitsbedingungen versprachen oder ihnen mit Entlassung drohten, wenn sie sich weigerten. Von den meisten Fällen habe man durch Zeuginnen erfahren und nicht durch die Betroffenen selbst. »Oft sind solche Vorfälle schwierig zu beweisen«, heißt es im Bericht. Die Initiative spricht daher auch von »möglichen Fällen« und fordert mehr Schutz durch Beschwerdestellen sowie Hilfs- und Unterstützungsangebote.
Mangelnde Kontrollen und Regulierung
Helfen würde auch, wenn sich die finanzielle Abhängigkeit der Beschäftigten durch bessere Arbeitsbedingungen und behördliche Kontrollen verringerte. Als Hebel hierfür gibt es seit Jahresbeginn die sogenannte soziale Konditionalität für EU-Agrarsubventionen: Landwirtschaftsunternehmen, die von Unionsgeldern profitieren, sind nunmehr daran gebunden, dass sie bestimmte Standards einhalten. Dazu zählen Arbeitsschutzregelungen, die Zahlung des gesetzlichen Mindestlohns und gesetzeskonforme Arbeitszeiten.
Doch vor allem im Bereich der Landwirtschaft würden die Standards durch Behörden kaum durchgesetzt, erklärt Danilova im Gespräch mit »nd«. Es sei für den Zoll oft einfacher, »die großen Betriebe zu kontrollieren als die Höfe auf dem Land«, sagt sie. Die IG BAU fordert darum, dass auch die Gewerkschaft Verstöße gegen die soziale Konditionalität melden können soll.
Und es brauche mehr Personal für die Behörden und härtere Sanktionen, fordert Anja Piel vom DGB-Bundesvorstand. Dabei müssten auch die international operierenden Vermittler stärker in den Blick genommen und reguliert werden. Sie werben die Wanderarbeiter*innen teils unter falschen Versprechungen und für hohe Gebühren an, erklärt sie.
Es gibt aber auch positive Entwicklungen. So hat die Zahl sozialversicherungspflichtiger Beschäftigter in der Landwirtschaft zugenommen, weil die Rentenversicherung ihre Kontrollen intensiviert hat. Und die Gewerkschaften informieren Beschäftigte bereits vor ihrer Anwerbung verstärkt über ihre Rechte. Dazu hat die IG BAU im vergangenen Jahr ihre Kooperation mit osteuropäischen Partnerorganisationen verstärkt. »Der Schritt war gut«, erklärt Schaum auf nd-Nachfrage. Die Zusammenarbeit soll künftig ausgeweitet werden.
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