Bahnhöfe: Neuer Glanz für alte Bauten

Wenn die Bahn mehr Fahrgäste erhalten soll, müssen sich auch die Bahnhöfe entwickeln

  • Martin Reischke
  • Lesedauer: 8 Min.
Vor allem in den großen Städten wie hier in Hamburg sind Bahnhöfe prosperierende Orte.
Vor allem in den großen Städten wie hier in Hamburg sind Bahnhöfe prosperierende Orte.

Langsam fährt der ICE in den Hauptbahnhof von Halle an der Saale ein. Am Fenster zieht die mächtige Empfangshalle vorüber, dann kommt der Zug auf Gleis 6 zum Stehen. Unten am Aufgang zu den Bahnsteigen wartet Karsten Kammler, der Manager des Bahnhofs von Halle. Jeder Bahnhof der Deutschen Bahn hat einen Manager oder eine Managerin. Karsten Kammler ist nicht nur für Halle an der Saale zuständig, sondern für das gesamte südliche Sachsen-Anhalt. Er hat ein Team von etwa 60 Leuten, zusammen betreuen sie mehr als 160 Bahnhöfe – von kleinen Haltepunkten in der Region bis hin zu großen Bahnhöfen.

»Mein Job hat von der Personalführung über technische Themen zum Eisenbahnbetrieb ein breites Spektrum«, sagt Kammler. »Ich muss mich in die Reisenden hineindenken, kümmere mich aber auch um den Erhalt der Immobilien.« Keine leichte Aufgabe, denn viele Bahnhöfe, oft schon im 19. Jahrhundert erbaut als Symbole einer rasanten Industrialisierung, sind sichtlich gealtert und haben an Strahlkraft verloren. Im 20. Jahrhundert verdrängte das Auto die Bahn als populärstes Transportmittel, in der Folge baute man viele Städte autogerecht um. Die Bahn geriet in die Krise – und mit ihr die Bahnhöfe. Doch das soll sich ändern. Denn um die Mobilität klimafreundlicher zu machen, sollen in Zukunft viel mehr Menschen mit dem Zug fahren als bisher. Allein im Fernverkehr will die Deutsche Bahn die Zahl der Reisenden bis 2030 im Vergleich zu 2019 verdoppeln. Damit das gelingen kann, sollen auch die Bahnhöfe wieder attraktiver werden für die Reisenden und die Berufspendler: keine kühlen, maroden Haltepunkte mehr, sondern moderne Bauten, die die Menschen freundlich empfangen.

In Halle an der Saale sei man da schon auf einem guten Weg, findet Bahnhofsmanager Karsten Kammler. Denn die Stadt liegt an der noch recht neuen Schnellstrecke von Berlin nach München, die vor acht Jahren eingeweiht wurde. Davon haben Stadt und Bahnhof stark profitiert: Die Verbindungen nach Bayern und Berlin sind viel besser geworden, im Zuge der Bauarbeiten an der Strecke wurde außerdem der Bahnhof generalüberholt. Neben der millionenschweren Sanierung waren es aber auch viele kleinere Maßnahmen, die das Gesicht des Bahnhofs verändert haben. Statt grauem Stein liegt im Wartebereich der Empfangshalle jetzt etwa Laminat in warmen Brauntönen. Auch bei den Imbissständen im sogenannten Food Court können sich die Fahrgäste hinsetzen, essen oder arbeiten, es gibt Steckdosen und USB-Anschlüsse. Tauben dagegen, eigentlich Stammgäste in jedem Bahnhof, findet man in der Empfangshalle nur noch selten – die Tiere wurden in ein Taubenhaus auf dem Dach des Bahnhofsgebäudes ausquartiert.

Ein freundlicher Wartebereich, eine gute Versorgung der Reisenden – das hat auch den Lobbyverband »Allianz pro Schiene« überzeugt. Er kürte den Hauptbahnhof Halle an der Saale 2023 zum Bahnhof des Jahres. Sind also alle Probleme gelöst? Karsten Kammler schüttelt den Kopf. Die Finanzlage sei schließlich immer schwierig. »In Summe ist der Bedarf in unseren großen Gebäuden größer als die Eigenmittel, die wir allein erwirtschaften können«, sagt der Bahnhofsmanager. Einnahmen für den Erhalt seiner Gebäude erzielt ein Bahnhof vor allem über die Vermietung von Ladenflächen. Doch nur große Bahnhöfe mit sehr vielen Verkaufsflächen können ihre Gebäude über die Mieteinnahmen kostendeckend betreiben.

Dass der Erhalt gerade der Bahnhofs-Empfangsgebäude durch den Bund als Eigentümer der Deutschen Bahn nicht ausreichend finanziert ist, liegt an einer Norm aus dem Bundesschienenwegeausbaugesetz von 1993. Darin wird genau unterschieden zwischen der Verkehrsstation mit allen für den Bahnbetrieb technisch relevanten Anlagen und den sonstigen Bahnhofsgebäuden. Das führte zu einer absurden Situation: Der Teil des Bahnhofsgebäudes, den Fahrgäste durchqueren müssen, um zum Zug zu gelangen – die sogenannte Zuwegung – wird mit Bundesmitteln erhalten. Dazu gehörten etwa die Bahnsteige und die Tunnel dorthin. Für den Rest des Bahnhofs, wie zum Beispiel Teile der Empfangshalle, ist dagegen gesetzlich betrachtet kein Geld vorgesehen. So sollte gespart werden, um die Bahn seinerzeit kostengünstiger und effizienter zu machen.

Doch der Plan hatte Nebenwirkungen. »Damit sind die Bahnhofsgebäude in Deutschland unter einen enormen wirtschaftlichen Druck geraten«, sagt Andreas Geißler vom Lobbyverband »Allianz pro Schiene«. »Die Kosten für Sanierung und Ausbau konnten von den Betreibern nur über Mieteinnahmen erzielt werden und das ist gerade im ländlichen Raum eben sehr, sehr schwierig.« Deshalb trennte sich die Deutsche Bahn von vielen ihrer Bahnhofsgebäude. Von ursprünglich etwa 3000 Empfangsgebäuden hat sie seit der Jahrtausendwende mehr als drei Viertel verkauft, heute besitzt sie nur noch etwa 700.

Doch auch die neuen Eigentümer haben oft Schwierigkeiten, die Gebäude wirtschaftlich zu betreiben – vor allem in ländlichen Regionen verfallen viele von ihnen zusehends. Mittlerweile aber haben Bahn und Politik gegengesteuert. Zum einen hat sich die Deutsche Bahn selbst einen Verkaufsstopp auferlegt. Zum anderen hatte die Ampel-Koalition Mitte vergangenen Jahres die Förderrichtlinien im Bundesschienenwegeausbaugesetz so geändert, dass der Erhalt von Empfangsgebäuden mit Bundesmitteln in Zukunft leichter zu finanzieren ist. Die Herausforderungen sind trotzdem riesig: Denn viele alte Bahnhofsgebäude sind für heutige Maßstäbe überdimensioniert, für sie müssen neue Nutzungsmöglichkeiten gefunden werden.

Haltestellen auf dem Land wirken häufig verwahrlost und nur wenig einladend.
Haltestellen auf dem Land wirken häufig verwahrlost und nur wenig einladend.

André Riffel kann ein Lied davon singen. Riffel ist Wirtschaftsförderer von Großröhrsdorf, einer Kommune im Speckgürtel von Dresden. Gut 20 Minuten dauert die Fahrt mit der S-Bahn von der sächsischen Landeshauptstadt in den Ort. Das Zentrum der Gemeinde wirkt herausgeputzt, doch der Anblick des Bahnhofs macht André Riffel einfach nur traurig. »Ein Bahnhof sollte immer Eingangstor zu einer Stadt sein«, sagt Riffel. »Und das ist er hier in keiner Weise«. Er weist auf die einsturzgefährdete Lagerhalle des früheren Güterbahnhofs hin. Um das ehemalige Empfangsgebäude des Passagierbahnhofs ein paar Meter weiter ist es ebenso schlecht bestellt. Heute schützt die Fahrgäste nur noch ein kleiner Unterstand am Bahnsteig vor Wind und Regen. Die Türen des früheren Empfangsgebäudes sind dagegen verschlossen, viele Fenster mit Sperrholzplatten vernagelt. Anfang des Jahres wurden große Teile des Gebäudes außerdem durch einen Brand beschädigt.

Das Empfangsgebäude hat eine lange Leidensgeschichte hinter sich. 2007 wurde es von der Deutschen Bahn an eine luxemburgische Investmentgesellschaft verkauft, die die Immobilie anschließend weiterveräußerte. Doch auch der neue Eigentümer – eine Privatperson, zu der die Stadt nach eigener Aussage nie einen richtigen Kontakt aufbauen konnte – hat kein zukunftsträchtiges Konzept entwickelt. »Bisher war immer noch das Ziel, dass man jemanden findet, der das Gebäude wiederbelebt oder erhält und einer neuen Nutzung zuführt«, sagt Riffel. »Je länger es so dasteht wie jetzt, desto mehr ist es dem Verfall preisgegeben.«

Vom Bahnhof bis zu seinem Büro im Rathaus sind es nur ein paar Minuten Fußweg. Dort hat Riffel die Unterlagen zum Bahnhofsverkauf in einem dicken Ordner gesammelt. Vor drei Jahren schöpfte der Angestellte der Kommune dann neue Hoffnung. Es gab einen Kaufinteressenten für das Bahnhofsgebäude, mit dem bisherigen Eigentümer war er sich schon handelseinig geworden. Ein lokaler Unternehmer wollte das Gebäude nach dem Kauf sanieren und anschließend vermieten, Arztpraxen und ein Café sollten dort einziehen. »Wir waren sehr angetan von dem Konzept«, erinnert sich Riffel.

Arztpraxen direkt am Bahnhof – das wäre für viele Patienten im ländlichen Raum ideal gewesen, auch ein Café sucht man bisher in dem kleinen Ort vergebens. Doch das ist alles Schnee von gestern. Schließlich tauchte nämlich ein Problem auf, das niemand vorher so richtig auf dem Schirm hatte: Ein kleiner Teil des Gebäudes ist für technische Anlagen der Bahn reserviert. Der Investor wollte die Anlagen verlegen lassen, doch das hätte ihn nach Berechnungen der Bahn etwa 200 000 Euro gekostet und mehrere Jahre gedauert. Am Ende platzte der Deal, der Unternehmer sprang wieder ab. André Riffel ist sauer. »Dort ist man eher an der Haltung der Deutschen Bahn gescheitert, die nicht bereit war, mitzuwirken bei der Verlegung der Bahnbetriebsanlagen, die sich noch im Gebäude befinden«, sagt Riffel. »Also mitzuwirken in der Form, dass man sich vielleicht auch finanziell an dieser Maßnahme beteiligt, um auch die eigenen Anlagen vor dem Verfall zu schützen, der ja zwangsläufig von dem Gebäude ausgeht.«

Nur große Bahnhöfe mit sehr vielen Verkaufsflächen können ihre Gebäude über die Mieteinnahmen kostendeckend betreiben.

Formal hat sich die Deutsche Bahn nichts zuschulden kommen lassen – das Nutzungsrecht für ihre technischen Anlagen wurde beim ursprünglichen Verkauf des Gebäudes ins Grundbuch eingetragen. Trotzdem hätte sich Riffel etwas mehr Entgegenkommen gewünscht. »Das ist aus unserer Sicht eine verpasste Chance, sehr ärgerlich, und jetzt stehen wir halt nach wie vor mit diesem maroden Objekt in unserem Ort da«, sagt der Wirtschaftsförderer. Eine zweite Chance werde es wohl nicht so bald geben, glaubt er, zumal die Baukosten in den vergangenen drei Jahren stark gestiegen sind.

Aber vielleicht gibt es ja doch noch Hoffnung. Inga Schlichting, die bei der Deutschen Bahn für die strategische Entwicklung der Bahnhöfe zuständig ist, stellt schließlich nicht weniger als eine Trendwende beim Umgang mit den Bahnhofsgebäuden in Aussicht – egal ob sie in der Hand der Bahn oder privatisiert sind. »Wir wollen aus der Sicht der Reisenden auf die Bahnhöfe schauen. Die unterscheiden nicht, wem die Empfangsgebäude gehören«, sagt Schlichting. »Das heißt, wir wollen vor allen Dingen ein sehr guter Partner sein für die Dritten, die sich jetzt auch bemühen oder schon bemüht haben, die Empfangsgebäude zu entwickeln.«

Denn dass Bahnhöfe wichtig sind für das Gesicht und die Mobilität einer Stadt, darüber scheinen sich ja alle einig zu sein: die Kommunen, die Deutsche Bahn und die Politik. Nun muss es darum gehen, den Worten auch Taten folgen zu lassen.

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