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Daniel Bendix: »Hotel Castoria«: Im Land der Biber

Irgendwo in Brandenburg gibt es eine Hochschule von Christen. Was auf dem Campus vor sich geht, hat Daniel Bendix in »Hotel Castoria« aufgeschrieben

  • Roland Zschächner
  • Lesedauer: 5 Min.
Wenn er will, hat er mehr Macht als jeder Tech-Konzern der Welt.
Wenn er will, hat er mehr Macht als jeder Tech-Konzern der Welt.

Wer an Flüssen in Ostdeutschland unterwegs ist, kann sie schnell verwechseln: Biber und Nutria. Beides sind zwar in Wassernähe lebende Nagetiere mit einem braunen Fell, doch im Gegensatz zum Nutria wird der Biber hierzulande als einheimische Art geführt. Da wundert es nicht, dass Biber sich die Umwelt zu eigen machen wollen. Ihr Dammbau zeigt den schöpferischen Geist des Castor fiber, wie der Europäische Biber auf Latein heißt.

Jüngst wurde aus Tschechien gemeldet, dass Biber im Landschaftsschutzpark Brdy ein Feuchtgebiet erschaffen haben. Genau dieses Projekt wurde von der örtlichen Gemeinde bereits jahrelang geplant. Buchstäblich über Nacht wurden nun von einem Bibertrupp gleich mehrere Dämme hochgezogen, um Wasser anzustauen. Passenderweise geschah das an den dafür vorgesehenen Stellen.

Doch es kann auch anders gehen. Wenn der Biber zurückkommt, kann er für den Kollaps einer Hochschule sorgen. Genauer der Edentischen Universität Edenred (EUE) in der brandenburgischen Einöde. Was dort so alles passiert, hat Daniel Bendix in seinem ersten Roman »Hotel Castoria« aufgeschrieben. Der Sozialwissenschaftler beschreibt darin die wunderliche Welt einer christlichen Hochschule, die Studierende aus der ganzen Welt aufnimmt, Gottesdienste fest in den Tagesablauf integriert hat und in der eine IT-Abteilung die eigentliche Herrscherin ist. Und dann bricht noch die Corona-Pandemie aus.

Edentisten bilden eine christliche, weltweit aktive Glaubensgemeinschaft, deren Mitglieder sich dem Studieren verpflichtet haben, keinen Alkohol trinken und sich vegetarisch ernähren. Ihr Zeichen ist ein Buch mit einer Kerze darauf. Der neue Dozent, der Ich-Erzähler des Romans, wird zunächst mit einem »Gott segne euch!« empfangen. Dabei bleibt es nicht: »Ein Laubbläser vor meinem Apartment weckt mich. Mein erster Arbeitstag an der Edentistischen Universität Edenrad«, so beginnt die erste Woche.

»Auffällig, wie viel sich hier umarmt wird. Und immer auf diese krebsige Art.«

Aus »Hotel Castoria«

In den folgenden knappen Kapiteln werden in Form von Tagebucheinträgen samt beigefügten Briefen, E-Mails und Nachrichten die Eigenheiten der Hochschule beschrieben. Die Sprache ist kurz und schnell, auch lustig, wenn etwa die alltäglichen Absurditäten wiedergegeben werden: »Thekla hat mich gefragt, ob sie mich umarmen dürfte – und mich Bruder genannt. Die Umarmung war aber irgendwie keine herzliche, feste Umarmung. Wirklich eher eine brüderliche, mit zwei Klopfern auf die Schulter. Auffällig, wie viel sich hier umarmt wird. Und immer auf diese krebsige Art.«

Was an menschlicher Nähe fehlt, wird durch die Nähe zur umliegenden Natur und Spaziergänge darin wettgemacht. Bei einem von diesen deutet alles darauf hin, dass der ehemals heimische, dann aber vertriebene Biber wieder zurückgekehrt ist. Sollte man sich darauf vorbereiten? Denn Vorbereiten ist gut, Schützen ist besser und Abschalten am sichersten – so das unausgesprochene Motto der IT-Abteilung der EUE. Diese schleicht sich mittels E-Mails immer mehr in den Alltag des Ich-Erzählers ein. Erst geht es los mit Warnungen, dann wird der Ton alarmistisch, fällt ins zynisch-drohende, weil man vermeintliche oder reale Angriffe in der Cyberwelt ausgemacht hat.

Gefahr lauert im Digitalen überall, etwa in Mailanhängen, Textdokumenten oder anderen suspekten Dateien, die aber leider zur Arbeit im Wissenschaftsbetrieb dazugehören. Als schließlich alle Warnungen der IT sowie deren selbst fabrizierte Software – Edenredoc, EdenGarden und EdenVision – nicht mehr helfen, wird der Kontakt zur Außenwelt ganz abgeschaltet. Sicher ist sicher. Zumindest funktioniert das religiöse Leben noch: »Andacht im Schatten des Kreuzes mit dem Motto ›Denn er errettet dich vom Strick des Jägers und von der verderblichen Pest‹. Sie wird über das Intranet gestreamt.«

Sich von der Außenwelt abzukapseln, können sich die Studierenden aus dem Ausland nicht leisten. Die Studiengebühren müssen verdient werden. Und so fangen sie an, bei den umliegenden Unternehmen zu arbeiten. Darunter sind etwa der lokale Schlachthof Pörksen, eine bekannte Fast-Food-Kette, ein Supermarkt oder das nahe Altenheim.

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Der Clou an der Sache: Die angehenden Akademiker lassen sich die Beschäftigung als Praktika für ihr Studium anerkennen. Die aufgeführten Praktikumsberichte zeigen, wie es hierzulande um die Arbeitsbedingungen für ausländische Studierende bestellt ist. So kann es passieren, dass neben der vielen und harten Arbeit keine Zeit mehr zum Lernen bleibt; was wiederum ein neues Problem aufwirft, weil das Visum an das Studium geknüpft ist. Ausbeutung im Zeichen christlicher Gelehrsamkeit und Nächstenliebe.

Als dann auch die gelernten Inhalte zu Rassismus und postkolonialer Theorie auf die EUE und deren Lehrpersonal angewendet werden, bekommt die christliche Welt Risse. Dozentin Thekla nimmt die Kritik der wissenschaftlichen Mitarbeiterin Aisha aus Kenia mehr als persönlich. So werden die auch andernorts ausgetragenen Konflikte über neokoloniale Macht- und Herrschaftsverhältnisse ins Brandenburgische gebracht – inklusive der Abwehrmechanismen. Nur weil man interkulturelles Friedens- und Konfliktmanagement lehrt, heißt das nicht, auch den eigenen Rassismus zu sehen.

Dort, wo notwendige Diskussionen nicht geführt und die Augen vor Entwicklungen verschlossen werden, bahnt sich Unheil an. Aisha verlässt die EUE, zugleich stauen wohl Biber die vorbeifließende Else an. Die Räume der IT werden überschwemmt – nun ist auch das Intranet hinüber. Abschottung abgesoffen. Dagegen kann sich das südlich von Prag gelegene Schutzgebiet Brdy glücklich schätzen. Die dortige Gemeinde sparte stattliche 30 Millionen Tschechische Kronen, rund 1,2 Millionen Euro, durch die Arbeit der Biber. Manchmal muss man den Dingen ihren Lauf lassen, wobei kein Gott, keine Andacht oder Warnungen der IT helfen.

Daniel Bendix: »Hotel Castoria«, Klak-Verlag, 192 S., geb., 19,90 €.

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