- Kultur
- Film
»Der Wald in mir«: Den Viechern so nah
»Der Wald in mir« zeigt einen Mann, der allmählich zum Tier wird. Ein Film so verrückt, dass er leider unverständlich bleibt
Vieles an »Der Wald in mir«, dem zweiten Langspielfilm des deutschen Regisseurs Sebastian Fritzsch, ist rätselhaft, was offenbar ein durchaus gewollter Effekt ist. An sich sind Suspense und Undurchdringlichkeit noch nicht problematisch. Aber in diesem Fall bleibt vor lauter metaphorischem Kryptizismus zu viel davon auf der Strecke, was Zuschauende an einem Film fesseln könnte.
Das ist ziemlich bedauerlich, denn die beiden Hauptdarstellenden, Leonard Scheicher, der als Protagonist Jan einen verschrobenen und von einer starken Psychose geplagten jungen Biologiestudenten spielt, sowie Lia von Blarer als Jans Freundin Alice, geben den vom Drehbuch zu blass und unpräzise gezeichneten Figuren zumindest so etwas wie Charakter, und die beiden funktionieren als seltsames »tierisches« Paar durchaus.
Zunächst sehen wir, wie sie sich in einem Seminar kennenlernen, in dem Mäuse seziert werden müssen, was Jan bereits vor die ersten Probleme stellt, denn er bringt es nicht übers Herz, »seiner« Maus etwas zuleide zu tun. Obwohl Alice ihn hier zum ersten Mal unterstützt, landet eines der Tiere in seiner Manteltasche und schließlich auf der Brache vor dem Universitätsgebäude, wo Jan sie heimlich aussetzt. »Die hat seit hundert Generationen kein Grün mehr gesehen«, kommentiert Alice, die ihm heimlich gefolgt ist, diese Rettungsmission. Jan entgegnet, jetzt sei die Maus immerhin frei.
Bald kommt es bei dem Vortrag eines Pharmalobbyisten zu einer Störung durch Aktivistinnen auf der Bühne. Jan unterstützt die beiden – eine davon ist Alice –, und er wird kurzzeitig verhaftet. Später treffen sie sich in Alices Wohnung. Sie zeigt Jan ihr »ein bisschen verwildertes Zimmer«, in dem sie exotische Pflanzen kultiviert. Die suggerierte naturaffine Seelenverwandtschaft der beiden ist auch im weiteren Verlauf der Liebesbeziehung eine wichtige Motivierung. Die Initiative liegt dabei fast ausschließlich bei Alice; Jan ist passiv, mit sich selbst beschäftigt. Es bleibt unklar, was Alice eigentlich an ihm findet.
Alice wirkt dabei wie eine Nebenfigur. Wir erfahren wenig über sie, weder ihre eigene Verschrobenheit noch ihr politischer Aktivismus oder ihre angebliche politische Radikalität werden erzählerisch entwickelt oder erklärt. Wir sehen zu oft nur, dass sie etwas macht, selten einmal, warum. Dass sie eine Linksradikale ist, soll sie als Figur offenbar interessanter, gewissermaßen sexy machen. Letztlich wird klar, dass Jan ihre Liebe und Zuneigung nicht als Weg zur Befreiung nutzen kann.
Doch um Befreiung geht es in »Der Wald in mir«, die Erlösung der Tiere aus der menschlichen Gefangenschaft ist dabei eine zentrale Metapher. Später im Film befreit Jan noch andere Tiere, während er selbst in einem Terrarium in seiner Wohnung Schlangen und Stabheuschrecken hält. In solcherlei Ambivalenzen liegen indes die Stärken des Films: So wenig Jan Nutz- und Haustiere wirklich befreien kann, so wenig gelingt seine eigene Befreiung.
Wir beobachten also in erster Linie einen psychotischen jungen Mann dabei, wie er gegen seine Krankheit kämpft. Der Kampf führt ihn aber nicht aus dem dunklen Wald in menschliche Gesellschaft, er fühlt sich vielmehr zu der Wildnis und Dunkelheit hingezogen, die metaphorisch in ihm selbst herrscht. Jan will selbst Tier werden, um frei sein zu können. Als er schließlich auf einem Baum sitzend die Bewegungen und Geräusche eines Uhus imitiert, reicht es Alice, und sie weiß sich nicht mehr anders zu helfen, als Jan in die Geschlossene einweisen zu lassen.
Jan ist menschenscheu und offenbar einsam, ein Einzelgänger. Über die Ursachen seiner Probleme erfahren wir auch nicht viel mehr, als dass er eben Wahnvorstellungen und Halluzinationen hat, die ein unbelastetes soziales Alltagsleben kaum möglich machen – nur in der Nähe von Tieren und Natur verstummen die Stimmen in seinem Kopf.
Die Erzählstrategie, wenig über die Hintergründe der beiden Figuren zu verraten, sie auch wenig sprechen zu lassen und stattdessen ihre Handlungsweisen unerklärt zu präsentieren, auf dass sich der Rezipient selbst einen Reim auf das Treiben der Figuren mache, geht in diesem Fall nicht auf. Denn das, was wir sehen, lässt oft keinen gelungenen Reim zu, und je länger der Film dauert, desto anstrengender wird die Übung, aus all dem irgendwie schlau zu werden.
Dem Publikum Raum für Spekulation und Interpretation zu geben, ist naturgemäß Teil von Kunstproduktion. Damit dieses Zusammenspiel funktioniert, bedarf es für den Rezipienten aber ausreichender Anhaltspunkte zur Konstituierung von Sinn. Das Problem von »Der Wald in mir« ist, dass so vieles im Vagen und Unklaren gelassen wird, dass man als Zuschauer*in wie vor einer nur schwer lösbaren Aufgabe steht.
»Der Wald in mir«: Deutschland 2024. Regie: Sebastian Fritzsch. Buch: Marcus Seibert. Mit Leonard Scheicher und Lia von Blarer. 91 Min. Start: 10.4.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.