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Bring denMülleimer runter!
Emanzipation: Ellen Händler und Uta Mitsching-Viertel feiern die DDR-Frauen
Respekt: 153 Lesungen haben Ellen Händler und Uta Mitsching-Viertel in dem knapp über einem halben Jahr seit dem Erscheinen ihres neuesten Buches mit dem originell-ambivalenten (jedoch etwas sperrigen) Titel »Die DDR ist nachal(l)tig« bestritten. Und sie haben es tatsächlich geschafft, ihr Vorhaben zu realisieren, alle Bundesländer zu bereisen, wie sie auf einer Veranstaltung jüngst bei der Hellen Panke in Berlin stolz verkündeten. Das letzte von ihnen mit ihren Zeitzeugenbefragungen beglückte Bundesland war auch das kleinste der Bundesrepublik: Saarland. Die für sie überraschendsten, unglaublichsten Erlebnisse machten die Berlinerinnen aber in Südwestdeutschland.
Es habe keine zwanzig Minuten gedauert, erinnern sie sich, bis jemand aufstand (zumeist gar Frauen) und den Bericht der beiden über die im Gegensatz zur Bundesrepublik fortgeschrittenere Gleichberechtigung der Geschlechter in der DDR mit der Frage oder trotzigen Behauptung unterbrach: »Aber Rabenmütter sind sie gewesen, die ostdeutschen Frauen?!« Ob in Straubing oder Ulm, so mancher wusste es besser als die in der DDR aufgewachsenen Publizistinnen: Die Kinder hätten gewiss darunter gelitten, schon so früh in die Kindereinrichtungen weggegeben worden zu sein; die Liebe und die Ehe bestimmt auch. Nur, weil die Frau in der DDR auf ihr Recht auf Arbeit, ökonomische Selbstständigkeit bestand? Ellen Händler und Uta Mitsching-Viertel hörten von westdeutschen Geschlechtsgenossinnen auch die Klage: »Es ist unfair, dass die ostdeutschen Frauen höhere Renten als wir erhalten.« Ja aber, eil DDR-Frauen halt ein Leben lang erwerbstätig waren.
Einen älteren männlichen Besucher, der sich besonders befremdlich über den Osten äußerte, fragten die Autorinnen: »Kennen Sie denn den Osten?« – »Ja.« – »Sind Sie schon dagewesen?« – »Nein. Aber wir hatten eine Zugehfrau.« Ein antiquierter Begriff für eine Haushaltshilfe. Und auch diese Beobachtung gehörte zu den aufschlussreichen Trips der beiden Ostfrauen in den Westen: »Abends sind wir einmal in ein wunderschönes Lokal eingeladen worden. Es war erst 18 oder 19 Uhr. Da saßen nur Männer.« Wie das sein könne, fragten Ellen Händler und Uta Mitsching-Viertel die Kellnerin, die verdutzt antwortete, das sei ihr noch nie aufgefallen. Die Frauen des Ortes hatten sich um die Kinder zu kümmern.
Natürlich war für die Frauen in der DDR die Doppelbelastung, Haushalt und Beruf, hart. Sie gebaren früher als Frauen in der Bundesrepublik. »Die DDR-Frau hatte im Durchschnitt zwei bis drei Kinder, nicht wenige auch vier oder fünf«, erzählen Ellen Händler und Uta Mitsching-Viertel während der Lesung in Berlin-Prenzlauer Berg. »Die Kinder waren früher selbstständig, ältere erzogen die jüngeren.« Viele DDR-Frauen hatten Berufsausbildung mit Abitur. »Wie Gysi, der vor seinem Jurastudium Rinderzüchter erlernte.« 36 Prozent betrug die Anzahl von Frauen in Führungspositionen in der DDR, »allerdings nur auf unterer und mittlerer Ebene«. Unter den von Ellen Händler und Uta Mitsching-Viertel interviewten Ostfrauen in höheren Positionen gehörten Frauen wie Christa Luft, ehemalige Rektorin der Hochschule für Ökonomie in Berlin-Karlshorst und Wirtschaftsministerin in der vorletzten DDR-Regierung unter Hans Modrow, sowie Annelies Kimmel, letzte Chefin des FDGB, des Freien Deutschen Gewerkschaftsbundes, und zwei Generaldirektorinnen.
Manche Ostfrauen hatten mehrere Berufe, eine Folge vor allem des tiefgreifenden Einschnitts 1990. Sie legten nicht die Hände in den Schoß und beklagten ihr Schicksal nicht wie viele Ostmänner, die mit der Eliminierung ihres Arbeitsplatzes »in ein tiefes Loch gesunken sind, eine Sinnkrise durchmachten«. Bei ihren Interviews mit ostdeutschen Männern fiel Ellen Händler und Uta Mitsching-Viertel auf, dass diese sich immer mit ihren Pendants im Westen verglichen und ihr berufliches Aus oder beruflichen Abstieg als persönliche Niederlage empfanden.
Die Ostfrauen resignierten nicht, schauten sich nach neuer Arbeit um, übersiedelten notgedrungen in den Westen, und sei es, um sich dort als überqualifizierte »Zugehfrau« zu verdingen. Die Interviewten berichteten dem Autorenduo auch über erlebte patriarchalische Zumutungen. Und es spricht wohl für sich, wenn ein Ostmann den Interviewerinnen auf die Frage, wie er es mit der Emanzipation der Frau hält, antwortet, dass er diese hochhalte: »Wenn meine Frau sagt: ›Bring den Mülleimer runter!‹, dann mach’ ich das.« Immerhin.
Letztlich bleibt nach wie vor auch in Ostdeutschland die Losung von Lotte Ulbricht einzulösen: »Das Patriarchat ist nur durch die Umerziehung des Mannes zu beseitigen.« Die ehemalige First Lady der DDR hatte sich zugleich zur Unterstützung der werktätigen Frauen und Mütter dafür starkgemacht, dass Anfang der 60er Jahre in der DDR moderne Haushaltsgeräte produziert, Wäschereien und Reinigungen sowie Mehrzweckgaststätten geschaffen wurden. Später kam der Haushaltstag dazu – auch für alleinerziehende Männer. Die Autorin dieser Zeilen hat jedenfalls nach Wende und Vereinigung die taffe Dame noch persönlich in ihrem bescheidenen Heim in »Pankoff« kennenlernen und deren Kritik an im neuen, größeren Deutschland zurückgedrehter Emanzipation sich anhören dürfen.
Das Buch »Die DDR ist nachhal(l)tig« ist quasi das Resümee der beiden Vorgängerbücher von Ellen Händler und Uta Mitsching-Viertel: »Unerhörte Ostfrauen. Lebensspuren in zwei Systemen« (2019) und »Problemzone Ostmann? Lebenserfahrungen in zwei Systemen« (2021). Darin geht es auch um erlebte Kollektivität, direkte Demokratie, soziale Sicherheit und viele andere, heute Ostdeutschen noch wichtige Werte.
Zum Schluss sei angemerkt: Auf ihren Lesereisen durch Westdeutschland hatten Ellen Händler und Uta Mitsching-Viertel natürlich auch viele erfreuliche, erbauliche und ermutigende Erlebnisse.
Ellen Händler/Uta Mitschin-Viertel: Die DDR ist nachal(l)tig. Eine Streitschrift zur Ostidentität. Ibidem. 180 S., br., 10 €; als E-Book 7,99 €.
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