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Kritik an offizieller Darstellung der Luftangriffe auf Sumy
Mehrere Politiker sprechen von militärischer Feier mitten unter Zivilisten
Moskau/Kiew. Russland will sich nach Worten von Kreml-Sprecher Dmitri Peskow in Washington über vermeintliche Verstöße der Ukraine gegen den Stopp wechselseitiger Angriffe auf Energieanlagen beschweren. Ein 30-tägiges Moratorium auf solche Angriffe laufe am Mittwoch, 16. April, aus, sagte Peskow in Moskau, wie die staatliche russische Nachrichtenagentur Tass meldete. Die Ukraine habe eindeutig dagegen verstoßen, sagte er. Wie zum Beweis vermeldete die Tass acht ukrainische Angriffe auf russische Energieinfrastruktur allein am Sonntag, wobei auch Objekte in den annektierten Gebieten der Ukraine aufgezählt wurden.
»Natürlich muss man diese 30 Tage analysieren, Informationen und Überlegungen mit den Amerikanern austauschen«, sagte er. Ob Moskau sich über diesen Tag hinaus an die Teilwaffenruhe halten werde, müsse dann Präsident Wladimir Putin entscheiden.
Gegenseitige Vorwürfe aus Moskau und Kiew
Nach einem Telefonat Putins mit US-Präsident Donald Trump am 18. März hatte der Kreml mitgeteilt, dass Russland sich für 30 Tage an einen Stopp wechselseitiger Angriffe auf Energieanlagen halten werde. Auch die Ukraine erklärte sich dazu bereit, verlangte aber eine Festlegung der Daten und eine Liste der von Attacken ausgeschlossenen Ziele.
Seitdem werfen sich beide Seiten einander fast täglich Verstöße gegen das Moratorium vor. Meist ging es allerdings um kleinere, frontnahe Schäden am Energiesystem. Es gab keinen russischen Beschuss mehr auf ukrainische Kraftwerke. Die Ukraine beschoss nicht mehr russische Raffinerien, was Moskau in den Wochen zuvor erhebliche Probleme bereitet hatte.
Verstärkte Luftangriffe auf die Ukraine
Russland verstärkte allerdings seine Luftangriffe auf andere Ziele in den ukrainischen Städten und tötete allein seit Anfang April mehrere Dutzend Zivilisten. Am Sonntag kamen in der Stadt Sumy im Nordosten der Ukraine mindestens 34 Menschen durch Raketeneinschläge ums Leben, mindestens 117 Menschen wurden verletzt. Mehrere Opfer schweben weiter in Lebensgefahr.
Der ukrainische Präsident nutzte den russischen Angriff, um Trump aufzufordern, in die Ukraine zu reisen, um sich ein Bild der Zerstörung im Land zu machen. »Wir möchten, dass Sie kommen und sich das ansehen«, sagte Selenskyj in einem am Sonntag im US-Sender CBS ausgestrahlten Interview an den US-Präsidenten gerichtet. Erst danach solle Trump über Frieden sprechen.
Trump spricht von »schrecklicher Sache«
Der US-Präsident verurteilte den Raketenangriff als »schreckliche Sache«. »Ich denke, es war furchtbar, und mir wurde mitgeteilt, dass sie einen Fehler gemacht haben«, sagte der Republikaner an Bord des Präsidentenflugzeugs vor Journalisten, ohne zu konkretisieren, was der Fehler war.
Russland hat in den vergangenen drei Jahren immer wieder Menschenansammlungen angegriffen und dabei viele Zivilisten umgebracht. Für gewöhnlich behauptet der Kreml anschließend, Ansammlungen von Soldaten beschossen zu haben. Häufig stellen sich diese Behauptungen als Unwahrheiten heraus. Auch dieses Mal sprach Peskow von rein militärischen Zielen.
Militärzeremonie inmitten von Zivilisten
In Sumy gibt es jedoch Hinweise, dass sich in der Nähe des Einschlagsorts der Raketen eine größere Menge Soldaten versammelt hatte. In einem Facebook-Video erhob der Bürgermeister von Konotop, Artem Semenichin, Vorwürfe gegen Gouverneur Wolodymyr Artjuchin, der eine Ordensverleihung der Territorialverteidigung zugelassen hatte.
Die beiden Raketen waren nach übereinstimmenden Angaben auch anderer Politiker im Stadtzentrum von Sumy eingeschlagen, als dort in der Kongresshalle der Universität die Zeremonie stattfand. Es sei die »Unwahrheit«, wenn behauptet werde, dass im Zentrum von Sumy nichts gewesen sei, sagte Semenichin. Damit bezog er sich offenbar auf Behauptungen, dass es keine Militärversammlung gegeben habe.
Kritik an Verhalten des Militärs in Sumy
Die Parlamentsabgeordnete Marjana Besuhla rief Präsident Selenskyj und die Armeeführung auf, keine »Militärs zu Ehrungen zu versammeln, vor allem nicht in friedlichen Städten«. Es sei ein Sicherheitsrisiko, wenn solche Veranstaltungstermine für alle einsehbar in sozialen Netzwerken veröffentlicht würden. Am Montag veröffentlichte das ukrainische Militär zunächst die Nachricht des Todes eines Offiziers, löschte den Beitrag später aber wieder.
Ukrainische Funktionäre hatten den Raketenangriff als besonders abscheulich verurteilt, weil viele Menschen am Palmsonntag vor Ostern auf der Straße gewesen seien – von einer Ansammlung von Soldaten war keine Rede. Demnach gab es auch kein militärisches Ziel für Russland in der Stadt.
Sumy neuer Fokus russischer Angriffe
Anschuldigungen wie die von Semenichin sind selten, weil Kritiker der offiziellen Linie Kiews schnell in Misskredit geraten können und als russische Agenten abgestempelt werden.
Die Großstadt Sumy ist seit dem Scheitern der ukrainischen Invasion im russischen Gebiet Kursk verstärkt in den Fokus der russischen Armee geraten. Kritiker von Selenskyjs Kursk-Invasion hatten davor gewarnt, dass bis zu 60 000 russische Soldaten auf Sumy marschieren könnten. Am Montag wurde die Stadt erneut von mindestens einer Kampfdrohne aus der Luft angegriffen. Agenturen/nd
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