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Rechte Raumnahme in Sachsen nimmt Fahrt auf
Opferberatung der RAA verzeichnet für 2024 in dem Bundesland 328 Angriffe von Nazis
In Sachsen gab es im zurückliegenden Jahr so viele Fälle rechtsextremer Gewalt wie seit 2015/16 nicht mehr, als verstärkte Zuwanderung für massive rechte Proteste sorgte. Das geht aus der Jahresbilanz der Opferberatung Support der Regionalen Arbeitsstellen für Bildung, Beratung und Demokratie (RAA) Sachsen hervor. Diese verzeichnete zuletzt 328 Angriffe, ein Drittel mehr als im Jahr davor. Höher lagen die Zahlen im Freistaat bisher überhaupt nur in den Jahren 2015/16 mit 477 beziehungsweise 437 Fällen. Der jetzige Anstieg sei flächendeckend zu beobachten, sagt RAA-Geschäftsführerin Andrea Hübler: »Es gab keine Region, in der die Zahlen stagnierten oder sogar zurückgingen.« Mehr als die Hälfte aller Attacken erfolgten aus rassistischen Motiven. Stark zugenommen hätten aber auch die Angriffe gegen politische Gegner (plus 91 Prozent) und nicht rechte Menschen (plus 52 Prozent).
Besonders eklatant ist die Zunahme im Landkreis Meißen, wo binnen eines Jahres eine Versechsfachung von drei auf 18 Vorfälle verzeichnet wurde, und im Landkreis Mittelsachsen, wo die Zahl um 125 Prozent zunahm. Schwerpunktregionen rechter Gewalt bleiben ansonsten die Großstädte Leipzig, Dresden und Chemnitz sowie die Regionen Ostsachsen und Zwickau.
Erfasst wurden von der Opferberatung 205 Fälle von Körperverletzung. Darunter sind auch zwei Verdachtsfälle versuchter Tötung in Leipzig und Freital. In beiden Fällen waren wohnungslose Menschen betroffen, die nach Angaben Hüblers stark stigmatisiert sind und zu den häufigsten Opfern ressentimentgetriebener Gewalt in der Bundesrepublik gehören. Weil viele dieser Angriffe nur unzureichend aufgearbeitet würden und es eine hohe Dunkelziffer gebe, nehme die RAA derlei Verdachtsfälle regelmäßig in ihre Statistik auf.
Außerdem verzeichnete die RAA in Sachsen 114 Fälle, in denen es zu Nötigungen oder Bedrohungen kam. Hübler verwies auf einen Vorfall in Pirna, wo eine in der linken Szene engagierte Frau aus einer größeren Gruppe von Rechtsextremen heraus verfolgt und mit Gewalt bedroht wurde für den Fall, dass man sie noch einmal im Dunkeln treffe. Erwähnt wurde auch eine im sächsischen Wahlkampf erfolgte Attacke in Dohna, wo ein Mann mit einer Machete auf ein Plakatierteam der Linken losging.
»Es gab keine Region, in der die Zahlen stagnierten oder sogar zurückgingen.«
Andrea Hübler RAA-Geschäftsführerin
Solche und ähnliche Situationen häuften sich im Freistaat zuletzt deutlich, sagt Hübler und spricht von einer »zunehmend gewalttätigen rechten Raumnahme«. Sowohl altbekannte Neonazi-Strukturen wie der III. Weg als auch neue Kameradschaften mit oft sehr jungen Mitgliedern mobilisierten verstärkt zu eigenen Demonstrationen oder organisierten Gegenaktionen etwa bei Veranstaltungen zum Christopher Street Day (CSD). Hübler verweist auch auf das Gedenken an den 1999 in Hohenstein-Ernstthal totgeprügelten Punk Patrick Thürmer. Gedenkplatten würden dort seit Jahren entfernt, zuletzt habe es aber auch eine rechte Gegendemo gegeben: »Das hatten wir seit Ende der 90er Jahre nicht mehr.«
Darüber hinaus träten Rechtsextreme schon jetzt »auch im Alltag selbstbewusst und aggressiv« auf, sagt Hübler, die aber fürchtet, die Situation könne sich weiter verschärfen. Sie sehe die »deutliche Gefahr« einer weiteren Radikalisierung junger Neonazis. Wohin das führen könne, zeigten die Sächsischen Separatisten. Die rechte Gruppe aus der Region Leipzig absolvierte Schießtrainings und stellte Planungen für einen politischen Umsturz an, weshalb die Bundesanwaltschaft sie als rechtsterroristische Gruppierung einstuft. Hübler hält es nicht für ausgeschlossen, dass eine fortschreitende Radikalisierung weitere solcher Gruppen hervorbringt: »Das ist eine sehr besorgniserregende Entwicklung.«
Während die rechtsextreme Szene an Stärke gewinnt, beobachtet die RAA eine »zunehmende Verunsicherung« bei Menschen, die rassistische Angriffe fürchten müssten, sich offen für Demokratie und Weltoffenheit engagierten oder in Beratungsstellen tätig seien. Der Machtgewinn der AfD, die »Normalisierung« ihrer politischen Forderungen und das Auftauchen neuer rechtsterroristischer Gruppen schüfen eine »Gemengelage, in deren Angesicht sich Menschen zunehmend bedroht und ohnmächtig fühlen«, sagt Hübler.
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Das schlägt sich auch in der Arbeit der Opferberatungsstellen nieder. Bei »Support« habe man im vergangenen Jahr 397 neue Fälle angenommen: »Die Nachfrage war so hoch wie nie«, sagt Beraterin Rieke Sprenkmann. Oft würden Betroffene über lange Zeit begleitet, teils über Jahre. Hübler betont, dass diese Arbeit »Unterstützung verdient und keine Kürzungen«. Die RAA-Geschäftsführerin bezieht sich damit auf den aktuellen Entwurf für den sächsischen Landeshaushalt der Jahre 2025/26, der massive Kürzungen auch im Bereich Opferberatung vorsieht. Die Linksabgeordnete Jule Nagel fürchtet, dass von den jetzigen Strukturen »praktisch nichts übrig bleibt«, wenn der in der bisherigen Form beschlossen wird. »Er kürzt radikal bei allem, was dem gesellschaftlichen Zusammenhalt zugutekommt«, sagt Nagel. »Das ist unverantwortlich.«
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