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Papst Franziskus gestorben: Punk is dead
Franziskus war der Kurie in Rom stets suspekt: Ein Papst, der sich tatsächlich mit dringenden weltlichen Problemen beschäftigte
Schon in den Neunzigerjahren war dieser Jorge Maria Bergoglio für seine gelebte Nähe zu den Armen bekannt. Statt Chauffeur und Limousine wusste der Bischof den öffentlichen Nahverkehr zu nutzen. Auch war seine Wohnadresse in Buenos Aires keine Residenz, sondern eine Zwei-Zimmer-Wohnung. In seiner Lebensführung und der betonten Zugewandtheit zu den Armen glich dieser Kirchenmann dem salvadorianischen Erzbischof Óscar Romero, der 1980 im Auftrag rechtsextremer Militärs beim Gottesdienst ermordet wurde.
Romeros früherer Sekretär, Jesus Delgado Acevedo, erzählte vor einigen Jahren der italienischen Tageszeitung »La Repubblica«, dass er 2007 den damaligen Erzbischof von Buenos Aires gefragt habe, ob Romero jemals heiliggesprochen werde. Der peruanische Kurienkardinal Alfonso Lopez Trujillo hatte ihm zuvor versichert, dies werde nie geschehen. Dem Ermordeten wurde lange Zeit eine Nähe zur Befreiungstheologie nachgesagt. Doch seine Exzellenz Bergoglio hatte damit offenbar kein Problem: »Wenn ich Papst werde, dann schicke ich Lopez Trujillo nach San Salvador, um Romero heiligzusprechen.« So weit ist es nicht gekommen. Kardinal Trujillo erlag schon bald einem Diabetesleiden. Sodass er nicht miterleben durfte, wie im März 2013 in der Sixtinischen Kapelle zu Rom die Versammlung der Kardinäle zum allerersten Mal einen Mann aus Lateinamerika zum Papst wählte.
Schon nach dem Tod Johannes Pauls II. soll Bergoglio im Konklave eine wichtige Rolle gespielt haben. Der damals 68-Jährige habe rund 40 Stimmen auf sich vereint. Dann aber zog er seine Kandidatur zurück und machte den Weg frei für Joseph Ratzinger, der als Kardinaldekan zu diesem Zeitpunkt schon die Nummer eins im Vatikan war und es bis zu seinem Rücktritt als Papst auch bleiben sollte.
Franziskus-Biograf Andreas Englisch schreibt über Kardinal Bergoglio, er sei persönlich in die Slums gegangen, selbst dahin, wo sich nicht einmal die Polizei hintraute.
Franziskus-Biograf Andreas Englisch schreibt über Kardinal Bergoglio, er sei persönlich mit den Priestern in die Slums gegangen, jahrzehntelang, selbst dahin, wo sich nicht einmal die Polizei hintraute. »Bergoglio lehnte immer alle Eskorten ab, er nahm seine Priester mit und stellte sie den armen Leuten vor. Nie war Bergoglio ein Haar gekrümmt worden.« Mit den Ärmsten hätte er Mate getrunken, den typischen Aufguss aus den Blättern des Matestrauchs, über viele Jahre hinweg. Und die Menschen hätten gewusst, dass Bergoglio ihr Bischof war, deswegen hätten sie seine Priester geschützt und bei sich aufgenommen. »Selbst dort, wo sich Drogenbanden Feuergefechte lieferten, wo es um viel Geld ging, konnten Bergoglio und seine Priester nach Belieben kommen und gehen. Sie waren Männer Gottes, und selbst die schlimmsten Verbrecher akzeptierten das.«
Aber die Kurie habe das anders gesehen. Weil Bergoglio sich um die Armen gekümmert habe, galt er als Versager, als Mann, der keine Ahnung hätte, wie man eine Diözese leitet. Vatikanexperte Andreas Englisch schreibt, dass Kardinal Bergoglio seinerzeit »die lebende Anklage gegen die Kurie und gegen fast alle Kardinäle und Bischöfe der Welt« war. Im Vatikan wusste damals jeder, was Bergoglio darüber dachte, dass die Kardinäle und Bischöfe sich von Ordensfrauen bedienen lassen, von einer mehr als 10 000 Frauen umfassenden Armee von Haushälterinnen. Bergoglio habe keine einzige Nonne als Haushälterin. »Das allein wäre nicht so schlimm, wenn er wenigstens die Klappe halten würde, aber das tut er nicht. Er sagt bei Treffen im Vatikan ganz offen, dass die Ordensfrauen, die in den Küchen der Kardinäle kochen, Wäsche waschen, Betten beziehen, Geschirr abwaschen und Kaffee für den Fahrer des Bischofs aufbrühen, das tun sollten, wofür sie eigentlich Nonnen geworden sind: das Evangelium verkünden, Kinder beschützen, Alten beistehen, Gottes Liebe zeigen.« Diese Kritik, so simpel sie auch erscheinen mag, habe für blankes Entsetzen im Staat des Papstes gesorgt.
Der Rücktritt von Benedikt XVI. und die Wahl Bergoglios zu seinem Nachfolger war 2013 eine Sensation von beinahe revolutionärem Ausmaß. Jorge Mario Bergoglio war auch der erste Jesuit in diesem Amt; von daher mag seine Namenswahl ein wenig irritiert haben: Der Bettelmönch Franz von Assisi gilt als Gründer des Franziskanerordens, in dem auch heute der ärmlichen Lebensweise Jesu großes Gewicht beigemessen wird, wohingegen sich die Jesuiten traditionell stärker an dessen Spiritualität orientieren. In die linke Sprache übersetzt, sind Jesuiten eher die Buchgelehrten unter den katholischen Priestern, während die Franziskaner als Aktivisten in Erscheinung treten. Wenn sich ein Jesuit also Franziskus nennt, dann ist dieser Name ein Programm.
Unvergessen seine erste Pastoralreise im Juli 2013, die ihn auf die italienische Flüchtlingsinsel Lampedusa führte. Der neue Papst ließ sich auch hinaus aufs Meer fahren, wo er im Gedenken an die Ertrunkenen einen Blumenkranz auf die Wasseroberfläche warf und minutenlang im Gebet verharrte. Als sich der Besuch auf Lampedusa zum zehnten Mal jährte, schrieb Franziskus einen offenen Brief an den dortigen Bischof Alessandro Damiano und beklagte die Bootsunglücke. »Wir sind erschüttert angesichts dieser lautlosen Massaker, vor denen wir hilflos und erschrocken stehen.« Der Tod unschuldiger Menschen, vor allem der Kinder, die ein Leben fern von Krieg und Gewalt suchten, sei ein schmerzhafter und ohrenbetäubender Schrei, der niemanden gleichgültig lassen kann.
Und auch wenn sein Pontifikat in manchen Punkten enttäuschte, zum Beispiel ist der sexuelle Missbrauch von Kindern und Jugendlichen durch Amtsträger der Kirche immer noch unzureichend aufgearbeitet, was hierzulande mehr und mehr Menschen aus der Kirche austreten lässt, so hat dieser Papst doch wie kein anderer vor ihm die Kirche geprägt, die theologische Sicht geweitet auf akute gesellschaftliche Herausforderungen wie soziale Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung.
Zeugnis davon gibt seine Enzyklika »Laudato si’« vom 24. Mai 2015. In dieser Schrift wird die katholische Soziallehre weitergedacht, das gesellschaftliche Zusammenleben auch auf die Umwelt und die ökologische Frage bezogen. Und auch das ist eine Sensation: In der zweitausendjährigen Kirchengeschichte hat es dergleichen nicht so oft gegeben, dass der Vatikan auf die Wissenschaft hört. Der Klimawandel, heißt es in der Enzyklika, sei ein globales Problem mit schwerwiegenden Umwelt-Aspekten und ernsten sozialen, wirtschaftlichen, distributiven und politischen Dimensionen. Er stelle eine der wichtigsten aktuellen Herausforderungen an die Menschheit dar. Wenn sogar der Papst von der drohenden Katastrophe spricht, wie lächerlich wirken dann all die Klimaleugner.
Papst Franziskus zufolge würden die schlimmsten Auswirkungen wahrscheinlich auf die Entwicklungsländer zukommen. Und auch dass viele von denen, die mehr Ressourcen und ökonomische oder politische Macht besäßen, sich vor allem darauf zu konzentrieren scheinen, die Probleme zu verschleiern oder ihre Symptome zu verbergen, und sie versuchten nur, einige negative Auswirkungen des Klimawandels zu reduzieren. »Viele Symptome zeigen aber an, dass diese Wirkungen jedes Mal schlimmer sein können, wenn wir mit den gegenwärtigen Produktionsmodellen und Konsumgewohnheiten fortfahren.« In linkskatholischen Kreisen gilt die Enzyklika »Laudato si’« als ein gesellschaftspolitischer Meilenstein, der noch von Benedikt XVI. nicht zu erwarten gewesen wäre. Franziskus war kein Dogmatiker, der von vornherein die Grenzen seines Handelns mitgedacht hätte.
Seine angestrebten Reformen blieben leider hinter den Hoffnungen vieler zurück, auch wenn in der katholischen Kirche jetzt zumindest die Segnung von »Paaren in irregulären Situationen und gleichgeschlechtlichen Paaren« erlaubt ist. Seinerzeit brachte schon ein einziger Satz konservative Kirchenleute gegen den Papst auf. Franziskus hatte gesagt: »Wenn jemand schwul ist und den Herrn sucht, wer bin ich, um ihn zu verurteilen?«
Auch wenn viele Prozesse von ihm nur angestoßen wurden, hat dieser Papst im Rückblick keine großen Fehler gemacht. Eine Ernennung wie die vom Protzbischof Tebartz-van Elst ist ihm nicht passiert. Statt irgendwelche Theologieprofessoren berief Franziskus Bischöfe, die in der sozialen Arbeit der Kirche Verantwortung getragen hatten, wie zum Beispiel in Österreich 2020 Josef Marketz, den Direktor des Kärntner Caritasverbandes. Dass Franziskus zur Frage der Gleichberechtigung der Geschlechter keine neuen Akzente setzen konnte, sei ihm verziehen.
An diesem einen Punkt aber hat Franziskus Wort gehalten: Im Jahr 2015 wurde Óscar Romero in San Salvador seliggesprochen. Und nur drei Jahre später, am 14. Oktober 2018, folgte in Rom die Heiligsprechung. Zur Theologie der Befreiung, die von der Kirche fordert, Stimme der Armen zu sein und Ungerechtigkeiten nicht als gottgegeben hinzunehmen, erfolgte endlich eine Annäherung des Vatikans. So hat Papst Franziskus sämtliche Sanktionen gegen den nicaraguanischen Befreiungstheologen Ernesto Cardenal aufgehoben, ein politisches Zeichen, das deutlicher nicht sein konnte.
Gerade jetzt, in einer Welt, die von Despoten und Autokraten immer mehr beherrscht wird, wird eine moralische Autorität, wie sie dieser Papst verkörperte, gebraucht. Franziskus starb am Ostermontag in Rom. Seine Stimme wird fehlen.
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