»… und doch tat er seine Pflicht«

Die Schlacht von Gallipoli vor 110 Jahren, eine der blutigsten im Ersten Weltkrieg – und eine Mahnung

  • Armin Jähne
  • Lesedauer: 4 Min.
Australische Soldaten ehren ihre Toten am Mahnmal mit Atatürks Statue in Gallipoli im Westen der Türkei.
Australische Soldaten ehren ihre Toten am Mahnmal mit Atatürks Statue in Gallipoli im Westen der Türkei.

Die Dardanellen waren als Brücke von Europa nach Kleinasien und in der Verlängerung zum Bosporus als Verbindung zwischen Agäischem und Schwarzem Meer jene Meerenge, die seit Troia bis in die Jetztzeit, geopolitisch wie welthistorisch nichts von ihrer exzeptionellen militärischen Bedeutung eingebüßt hat. Mit Ausbruch des Ersten Weltkrieges im August 1914 rückten sie abermals ins Zentrum des Weltgeschehens, weil dort die Machtinteressen der Mittelmächte, eingeschlossen die Türkei, und der Entente (vor allem England, Frankreich und Russland) aufeinandertrafen.

Im September 1914 sperrte die Türkei die Durchfahrt durch die Meerengen. Damit waren die Verbindungen zwischen Russland und seinen westlichen Verbündeten unterbrochen und sein Einfluss auf den Balkan eingedämmt. Der Türkei selbst garantierte die Schließung der westlichen Zufahrt die Sicherheit von Konstantinopel mit den dort befindlichen kriegswichtigen Betrieben.

Deutschland, dessen enger Verbündeter die Türkei war, hatte ein eigenes Interesse daran, dass dieser begrenzte Operationsraum fest in den Händen des türkischen Partners verbliebe. Unter Leitung des Generals Liman von Sanders wurde deshalb eine deutsche Militärmission in die Türkei entsandt, die anfangs 44 Offiziere umfasste. Sie traten in die türkische Armee ein, um von innen bei der Reorganisation und Modernisierung der türkischen Streitkräfte zu helfen.

Das ist kein Loblied auf den Krieg, sondern die Mahnung, seine Schrecknisse – gerade jetzt im westlichen Europa – nicht zu vergessen.

-

Treibende Kraft bei der Neuordnung von Struktur und Logistik der türkischen Armee war der tüchtige und durchsetzungsfähige Kriegsminister Enver Pascha. Als weitere überragende militärische Führungspersönlichkeit erwies sich der Chef der Intendantur Ismail Hakki Pascha, der sich den gesamten Kriegsverlauf über durch seinen strategischen Scharfblick und seine unermüdliche Arbeitsleistung auszeichnete. Vor der Schließung der Meerengen im Westen erfolgte auf Bitten der Türkei die Verlegung zweier deutscher Marineeinheiten ins Marmarameer: am 10. August 1914 der Panzerkreuzer »Groeben« und der kleine Kreuzer »Breslau«. Beide wurden unter den Namen »Sultan Selim Jawus« beziehungsweise »Midilli« in die türkische Flotte eingegliedert.

Die Pläne Winston Churchills, des Ersten Lords der englischen Admiralität, die türkischen Befestigungen von See aus anzugreifen, scheiterten allesamt im Februar/März 1915. Ihr Initiator musste daraufhin zurücktreten, für ihn eine tiefgehende, lange nachwirkende Kränkung.

Eine Landungsoperation großen Stils war nun zur zwingenden Notwendigkeit geworden. Am 25. April landete eine Übermacht aus neuseeländischen, australischen, englischen, französischen und indischen Truppen an der Südspitze der 70 Kilometer langen Halbinsel Gallipoli, um sich dort festzusetzen. Auf der schlecht vorbereiteten türkischen Seite standen ihnen 60 000 Mann gegenüber, die Enver Pascha mit viel Organisationstalent zusammengezogen hatte. Der Oberbefehl über diese Armee lag in deutschen Händen.

Die Invasoren nahmen den Küstensaum ein und begannen den Kampf um Gallipoli, kamen aber kaum voran, weil die Stellungen des türkischen Gegners auf einem Höhenkamm lagen. Die örtlich durchaus erfolgversprechenden Sturmangriffe der Alliierten wurden geschickt und selbstaufopfernd zurückgewiesen, wobei sich Mustafa Kemal Bey (Atatürk) besonders auszeichnete. Das Ringen – eine gewaltige Materialschlacht – um die Halbinsel versackte bei einer Pattsituation schließlich in einem mörderischen Grabenkrieg.

Am 21. August versuchten die Alliierten ein letztes Mal, die militärische Oberhand zu gewinnen, und scheiterten krachend. Die im November begonnene Evakuierung zog sich bis zum 9. Januar 2016 hin, als die letzten Einheiten der Entente Gallipoli verließen.

Die Augustkämpfe waren ein furioser Triumph der türkischen Waffen, trotz des Opfers von 40 000 Mann, und sie sind ein Ruhmesblatt in der türkischen Geschichte. Sie trugen entscheidend zur Identitätsfindung der türkischen Nation bei. Voller propagandistischem Stolz blickt das Land heute auf dieses Ereignis, auf die eigene militärische Selbstbehauptung, auf die türkisch-deutsche Waffenbrüderschaft und das Wissen, sich den damals besten Armeen der Welt als ebenbürtig gezeigt zu haben.

Rückblickend heißt es: »Unterernährt, vom Ungeziefer geplagt, ungeschützt gegen Sonnenbrand, Sandsturm, Regen und Kälte stand der Türke Tag und Nacht, nur selten aus der vordersten Linie abgelöst, im Schützengraben – und doch tat er seine Pflicht.« Das ist kein Loblied auf den Krieg, sondern die Mahnung, seine Schrecknisse – gerade jetzt im westlichen Europa – nicht zu vergessen.

Die Schlacht um Gallipoli war eine der blutigsten und brutalsten im Ersten Weltkrieg. Angesichts der etwa 100 000 Toten erinnern Neuseeland und Australien an jedem 25. April, dem Jahrestag der Landung auf Gallipoli, an die dort gefallenen Landsleute und Verwundeten mit einem nationalen Gedenktag. Gallipoli war aufgrund der hohen Opferzahlen ein Schock für diesen beiden Staaten. Es war der bis dahin größte Konflikt, in den diese beiden britischen Dominions verwickelt worden waren.

Winston Churchill fühlte ein Leben lang die Schmach der Niederlage und hegte dauerhaft einen tiefen Groll auf die Deutschen, die seiner Meinung nach nicht unwesentlich zum türkischen Erfolg im Kampf um die Dardanellen und zu seinem Sturz als Marineminister beigetragen hatten.

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.