• Politik
  • Debatte um den Mindestlohn

Angstgegner Mindestlohn

Unternehmer und Institute warnen vor Anhebung der Lohnuntergrenze auf 15 Euro

Nicht armutsfest: Gerade Reinigungskräfte schuften häufig zum Mindestlohn.
Nicht armutsfest: Gerade Reinigungskräfte schuften häufig zum Mindestlohn.

Das Regierungsbündnis von CDU, CSU und SPD hat noch nicht einmal ihre Arbeit aufgenommen, da tragen ihre Protagonisten schon den ersten großen Streit aus. Zankapfel ist der gesetzliche Mindestlohn. Die Auseinandersetzung begann, nachdem die Parteien am 9. April ihren Koalitionsvertrag vorgestellt hatten. Dort ist zu lesen, dass die beteiligten Parteien eine Anhebung der Lohnuntergrenze auf 15 Euro im nächsten Jahr für »erreichbar« halten. Zugleich wird betont, man halte an einer »starken und unabhängigen Mindestlohnkommission« fest.

Nun erklärte SPD-Generalsekretär Matthias Miersch, 15 Euro Mindestlohn im kommenden Jahr seien »notfalls auch per Gesetz erreichbar«, sollte die Kommission sich nicht darauf einigen können. Dies dürfte aber innerhalb der künftigen Koalition nicht durchsetzbar sein, Vertreter von CDU und CSU wiesen das Ansinnen umgehend zurück. Eher dürfte es sich bei der Ansage um ein Signal in die eigene Partei handeln: Seht, wir engagieren uns!

Denn die SPD-Basis entscheidet derzeit in einer Mitgliederbefragung, ob sie dem Koalitionsvertrag zustimmt oder nicht. Wiederholt war aus der Partei Kritik laut geworden dahingehend, dass man kaum Forderungen habe durchsetzen können. Tatsächlich zeigt sich gerade in der Passage zum Mindestlohn die Schwäche der Sozialdemokraten.

»Jeden Tag kommt die Sozialdemokratie jetzt mit Forderungen, die sie in den Koalitionsverhandlungen hätte durchsetzen können.«

Sören Pellmann Vorsitzender der Linksfraktion im Bundestag

Einmal gab es ein Einschreiten des Gesetzgebers in der zehnjährigen Geschichte des deutschen Mindestlohns: Im Oktober 2022 wurde er von der Ampel-Koalition einmalig per Änderung des Mindestlohngesetzes (MiLoG) von 10,45 auf zwölf Euro angehoben. Der Gesetzestext besagt aber auch, dass dies eine Ausnahme bleibt.

Zuletzt hob die Kommission ihn dann 2023 in zwei Mini-Schritten um jeweils 41 Cent für 2024 und 2025 an. Dies geschah gegen den ausdrücklichen Protest der Gewerkschaften, die ihrerseits auf die EU-Richtlinie verwiesen, die einen Mindestlohn vorsieht, der 60 Prozent des sogenannten Medianlohnes entspricht. Damit hätte es schon damals eine Anhebung auf rund 14,50 Euro geben müssen. Stimmberechtigt sind in dem Gremium zunächst nur die sechs Arbeitnehmer- und Arbeitgebervertreter. Kommt so keine Mehrheit zustande, entscheidet die Stimme der Vorsitzenden Christiane Schönefeld. Sie votierte zugunsten der Arbeitgeberseite. Die nächste Verhandlungsrunde des Gremiums für die beiden kommenden Jahre beginnt im Juni.

Angemessen wären 15 Euro ab Januar 2026 damit allemal, beziehungsweise »das Mindeste«, wie es Sören Pellmann ausdrückt. Der Vorsitzende der Linksfraktion im Bundestag spottet zugleich über die SPD: »Wenn die Situation nicht so dramatisch wäre, könnte man darüber lachen. Jeden Tag kommt die Sozialdemokratie jetzt im Schlussspurt des Mitgliedervotums mit Forderungen, die sie in den Koalitionsverhandlungen hätte durchsetzen können.«

Im Koalitionsvertrag sei aber eben kein Eingreifen des Gesetzgebers festgelegt, so Pellman. »Das offenbart nur, wie schlecht die SPD verhandelt hat.« Das »öffentliche Gefeilsche der künftigen Koalitionäre« sei »unwürdig und ein Affront für Millionen von Menschen, die unter dem viel zu niedrigen Mindestlohn leiden«, urteilt der Politiker. Für sie bedeute er »Armut trotz Arbeit und später Armutsrenten trotz eines Lebens voller Arbeit«.

Die Linke spricht sich dafür aus, dass die EU-Mindestlohnrichtlinie im Gesetz als Untergrenze festgeschrieben wird. »Dann kann die Mindestlohnkommission gern weiter unabhängig über darüber hinausgehende Erhöhungen entscheiden«, sagt Pellmann. Außerdem fordert seine Partei die Einführung des sogenannten Konsensprinzips für Kommissionsentscheidungen. Es besagt, dass die Arbeitnehmervertreter nicht überstimmt werden dürfen.

Aus Unternehmerverbänden kommen derweil die üblichen Warnungen vor Vertiefung der Rezession. Im Deutschlandfunk warnte etwa der Präsident des Zentralverbands des deutschen Handwerks, Jörg Dittrich, vor Arbeitsplatzverlusten. Zwar sei ihm bewusst, »dass die Menschen von dem, was sie verdienen, auch leben können müssen«. Andererseits gehe es um den Erhalt der deutschen Wettbewerbsfähigkeit.

Auch der Arbeitgeberverband Gesamtmetall rät der SPD dringend von einer von der Politik festgelegten Anhebung des Mindestlohns ab. »Eine politisch erzwungene Anhebung auf 15 Euro würde einen Anstieg in nur zehn Jahren von über 76 Prozent bedeuten. Damit können die Tariflöhne nicht Schritt halten«, sagte der Hauptgeschäftsführer des Verbandes, Oliver Zander, zu »Bild«. Seit ihrer Einführung sei die Entgeltuntergrenze um mehr als 50 Prozent gestiegen. Die Tariflöhne hätten in dieser Zeit nur um 29 Prozent zugelegt.

Ein Mindestlohn von 15 Euro würde nach Ansicht Zanders »in der längsten Wirtschaftskrise seit Gründung der Bundesrepublik schwere wirtschaftliche Schäden anrichten«. Die Folge seien massiv steigende Verbraucherpreise. »Auch viele Geschäftsaufgaben gerade in Ostdeutschland, weniger reguläre Stellen und mehr Schwarzarbeit wären die Folge«, sagte Zander.

Dagegen glaubt Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), dass sich eine solche Mindestlohnanhebung »gesamtwirtschaftlich positiv auswirken« würde. Denn sie bedeute mehr Konsum und damit ein stärkeres Wirtschaftswachstum, sagte er der »Rheinischen Post« (Donnerstag). Die Erfahrung zeige, dass eine deutliche Erhöhung zu einer Verschiebung der Beschäftigung hin zu Unternehmen und Branchen führe, die mehr zahlen können. Jenen, die es nicht können, bringe sie Nachteile. »Für die gesamte Wirtschaft erhöht die Verschiebung jedoch die Effizienz und die Produktivität«, betonte der DIW-Chef.

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.