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Abstimmung gegen Wagenknechts Willen
BSW-Parteichefin scheitert bei Landesparteitag in Gera krachend an der Landesvorsitzenden Katja Wolf
Immer wieder kommt es vor, dass politische aktive Menschen versuchen, das eine zu sagen – und dann durch ein Wort hier und ein Wort da verraten, was sie wirklich denken und wahrscheinlich viel lieber sagen würden. Oft sind das kleine, kurze und eher unbewusst gewählte Formulierungen, die eine solche Diskrepanz deutlich machen. Dazu gehört das Wort leider.
Zunächst sagt Christian Leye, der BSW-Generalsekretär, am Samstag beim Landesparteitag in Gera, wie gerne er nach Thüringen komme. Kein anderes Bundesland habe er in den vergangenen Monaten so oft besucht. Ein paar Minuten später sagt er aber auch: »Ihr tragt – leider – eine besondere Verantwortung für unsere Partei.« Und das in einer Situation, in der das, was in Thüringen beim BSW geschehe, weit über die Grenzen des Freistaats hinaus von Bedeutung sei. Entscheidungen, die hier gefällt würden, seien wichtig für das BSW überall in Deutschland, so Leye: »Das ist keine regionale Angelegenheit.«
Einige Stunden später ist dann klar, wie sehr die BSW-Bundesspitze um Parteigründerin Sahra Wagenknecht und Leye den Parteitag tatsächlich bedauern muss: Die bisherige Thüringer BSW-Vorsitzende und mehrmonatige Wagenknecht-Widersacherin Katja Wolf wird auch zur neuen Vorsitzenden der Partei im Freistaat gewählt. Der Druck, den Wagenknecht, Leye und andere aus dem BSW-Bundesvorstand in den vergangenen Tagen aufgebaut haben, hat also am Ende nicht gereicht.
Von den rund 90 anwesenden Delegierten – die Zahl schwankt im Laufe des Tages immer mal wieder – stimmen 61 für Wolf. Die 49-Jährige ist ehemalige Eisenacher Oberbürgermeisterin (damals noch für Die Linke), derzeitige Thüringer Finanzministerin und Vize-Ministerpräsidentin. Auf ihre von der BSW-Bundesspitze offensiv unterstützte Gegenkandidatin, die aus Bad Salzungen stammende und landespolitisch bislang völlig unscheinbare BSW-Landtagsabgeordnete Anke Wirsing, entfallen 35 Stimmen.
Der Ausgang dieser Wahl hat sich im Laufe des Parteitages ebenso abgezeichnet, wie er eine eindeutige Niederlage für Wagenknecht und ihre kompromisslosen Gefolgsleute ist – zu denen Wirsing zweifellos zählt. Zu Anfang ihrer Bewerbungsrede um das Amt der Landesvorsitzenden hatte sie den Mut Wagenknechts bei der Gründung des BSW gepriesen – ansonsten würde das BSW weder im Europaparlament noch in drei Landesparlamenten sitzen, sagte Wirsing. »Dies scheint so mancher schon wieder vergessen zu haben.« Ihre Rede beendete sie mit einem Zitat von Wagenknecht.
Rücksichtslos hatten in den vergangenen Tagen Wagenknecht und Leye bei den Mitgliedern des Thüringer BSW Stimmung gegen Wolf und auch den bisherigen Thüringer Ko-Landesvorsitzenden Steffen Schütz gemacht. »Dass bei der Thüringer Regierungsbildung Bund und Land zunächst erkennbar nicht an einem Strang zogen, hat dazu beigetragen, dass sich Wählerinnen und Wähler enttäuscht abgewandt haben«, hatten Wagenknecht, Leye und auch die BSW-Bundes-Ko-Vorsitzende Amira Mohamed Ali zum Beispiel in einem Brief »an unsere Mitglieder und Unterstützer« Mitte April geschrieben.
Parallel dazu hatten Wagenknecht und Leye Wirsing medienöffentlich ihre Unterstützung versichert, immer unter dem Deckmantel der angeblich notwendigen Trennung verschiedener Ämter. Wer wie Wolf direkt in die Regierungsarbeit eingebunden sei, könne nicht gleichzeitig Parteivorsitzende sein, lautete ihr Mantra.
Schon in den Stunden vor der Wiederwahl Wolfs war aber deutlich geworden, dass dieses Argument jedenfalls auf diesem Parteitag nicht verfangen würde, Wirsings Kandidatur also keine Chance auf Erfolg hatte. Verschiedene in Satzungsanträge verpackte Vorstöße von BSW-Mitgliedern – auf eine Trennung etwa von Ministeramt und Parteivorsitz zu drängen – fanden auf dem Parteitag keine Mehrheit. Sie scheiterten nicht einmal knapp, sondern regelmäßig in Ein-Drittel-zu-zwei-Drittel-Abstimmungen.
Darauf, dass Leye Wolf nach ihrer Neuwahl zur Landesvorsitzenden ganz kurz würde umarmen müssen, konnte der Abgesandte Wagenknechts sich schon einige Zeit lang vorbereiten, ehe er es dann wirklich tat. Seinem Gesichtsausdruck nach schien ihm das Wort »leider« auch in diesen Sekunden im Kopf herumzugeistern.
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