- Politik
- Klimaaktivist vor Gericht
Angeklagt wegen Aktionen für Verkehrswende
In Wolfsburg steht ein Klimaaktivist vor Gericht, Unterstützer protestieren
Seit Jahren engagieren sich Klimaaktivisten in Wolfsburg für eine Verkehrswende. Mit Camps, Infoständen, kreativen Aktionen und Blockaden von Infrastruktur des VW-Konzerns fordern sie dessen Vergesellschaftung und eine Umstellung der Produktion auf die Herstellung etwa von Straßenbahnen und E-Bussen.
Seit Donnerstag steht nun mit Ruben G. einer der Beteiligten vor Gericht. Am Amtsgericht Wolfsburg wurde ein Prozess gegen ihn eröffnet. Unter anderem wird dem 28-Jährigen ein »gefährlicher Eingriff in den Bahnverkehr« vorgeworfen. Etliche Unterstützer*innen begleiteten die Auftaktverhandlung, andere protestierten vor dem Gerichtsgebäude gegen das Verfahren.
Laut Anklage soll G. am frühen Morgen des 4. Juni 2021 mit etwa 15 weiteren Personen auf das Gelände des Heizkraftwerks West von Volkswagen eingedrungen zu sein, um dort die Stromversorgung vorübergehend lahmzulegen. Außerdem soll der Beschuldigte mit einer kleineren Gruppe über eine Zaunanlage gestiegen und in der Folge an einen Güterzug »herangetreten« sein. Gesondert verfolgte Personen aus dieser Gruppe sollen auf die Ladefläche eines Güterwaggons geklettert sein, um Banner mit der Aufschrift »#unplugged VW« zu befestigen. Allein an jenem Tag sei dem Unternehmen ein Schaden von exakt 169 488,96 entstanden, behauptet der Konzern.
Außerdem sind Vorfälle im Jahr 2023 Teil der Anklage, bei denen er andere Aktivisten bei einer Abseilaktion unterstützt haben und das Gewerkschaftshaus der IG Metall in Wolfsburg entgegen einem ausdrücklichen Verbot zusammen mit weiteren Personen betreten haben soll. G. selbst soll sich unter anderem auf dem Vordach des Gebäudes aufgehalten haben. An jenem Augusttag hatten Mitglieder der Wolfsburger Verkehrswende-Gruppe Transparente am Gebäude aufgehängt und Säulen mit abwaschbarer Farbe angemalt.
Staatsanwalt Ulrich Brunke sieht in G. einen Protagonisten einer »Klimaextremistenszene«. Diese handele »mit erheblicher rücksichtsloser krimineller Energie«, heißt es in der Anklageschrift. Dort teilt Brunke auch mit, er sei der Meinung, dass G. »zeitnah dem Strafvollzug zuzuführen« sei.
Zu Beginn der Verhandlung wollte der Angeklagte einen Antrag auf Zulassung einer Laienverteidigung stellen. Das Gericht erklärte, dies sei vor Verlesung der Anklageschrift nicht zulässig. Später wurde die langjährige Umweltaktivistin Hanna Poddig als Laienverteidigerin zugelassen. Sie hält die Rechtsauffassung des Gerichts wie die Pflichtverteidigerin von G. für falsch.
Staatsanwalt Brunke fiel durch markige Bemerkungen etwa gegenüber einem Zuschauer auf. Dem drohte er: »In der JVA lachen Sie nicht mehr.« Auf Betreiben des Staatsanwaltes wurde außerdem ein akkreditierter Journalist aus dem Saal gezerrt.
Nach Verlesung der Anklage äußerte sich Ruben G. zu seinen Motiven. Er sprach von der dringend notwendigen Konversion von Automobilkonzernen. »Doppelt fatal« sei es, dass Firmen derzeit auf die Produktion von Rüstungsgütern umstellen statt auf klimafreundliche Verkehrsmittel. »Der Prozess, den Staatsanwalt Brunke hier anstrengte, ist ein trauriges Sinnbild für den aktuellen Stand unserer Gesellschaft«, sagte der Aktivist. Er beklagte, dass sich »Konzernbosse die Hände« reiben und Gewerkschaften applaudieren, »wenn Industriebetriebe zu Rüstungsproduktionsstätten umgebaut werden«. Da sei Konversion »plötzlich einfach und möglich«, während der Umbau für die Verkehrswende als unmöglich dargestellt werde.
Eine Justiz, die sich weiter an Klimaaktivisten abarbeite, sorge nicht für Gerechtigkeit, sondern sei »politischer Akteur« und ebne »die Wege für die Profiteure von Ausbeutung und Zerstörung«, so G.
Nach seiner Erklärung folgte die Vernehmung von sieben Polizist*innen als Zeugen. Der nächste Verhandlungstermin soll der 15. Mai sein.
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