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»Knockout 51«: Nach den Gewaltfantasien das große Schweigen
In Jena hat ein weiterer Prozess zur Nazi-Gruppierung »Knockout 51« begonnen
Vor Gericht sind alle gleich. Auch Patrick Wieschke muss den Gürtel abschnallen, als er durch die Sicherheitskontrolle am Oberlandesgericht Jena kommt. Den könnte er zwar gleich danach wieder anlegen. Doch Wieschke hat es eilig, zu seinem Platz an der Anklagebank zu kommen, sodass er ohne Gürtel an der Hose den Saal des Gerichtsgebäudes betritt, in dem er und zwei weitere Rechtsextreme sich von Montag an in einem zweiten »Knockout 51«-Prozess verantworten müssen. Erst dort fängt er an, das Stück Leder in die Schlaufen seiner Hose zu fädeln – und merkt zu spät, dass das nicht nur für einen Eisenacher Stadtrat wie ihn kein allzu gutes Fotomotiv bietet. Schnell versucht er, sich wegzudrehen. Doch viele im Saal haben die peinliche Szene längst bemerkt.
Die Vorwürfe, die in dem Prozess verhandelt werden, muss man dagegen mit ganz anderen Worten als »peinlich« beschreiben. Schwerwiegend trifft es wohl besser, wenn es um »Knockout 51« geht. Denn die Vereinigung war viel mehr als ein Zusammenschluss von Kampfsportlern mit einem nationalsozialistischen Weltbild. Nach allem, was die Ermittlungen von Polizei und Justiz bislang gegen sie zutage gefördert haben, hat die Gruppe vor allem, aber nicht nur in Eisenach, versucht, als Ordnungsmacht aufzutreten und so einen »Nazi-Kiez« zu schaffen. Die Mitglieder von »Knockout 51« sollen auch dazu bereit gewesen sein, Menschen zu töten.
Vier Rechtsextremisten, die nach Überzeugung dieses Oberlandesgerichts Teil der Gruppe waren, wurden vor einem Jahr vom zuständigen Staatsschutzsenat bereits zu Haftstrafen verurteilt. Jetzt kommt es zu einem weiteren Prozess mit drei Angeklagten.
Wieschke, der als Fraktionsvorsitzender der Partei Die Heimat im Stadtrat Eisenachs sitzt, soll diese Gruppierung mit insgesamt sieben Delikten unterstützt haben. Unter anderem, sagt ein Vertreter des Generalbundesanwalts bei der Verlesung der Anklage, habe er das sogenannte Flieder-Volkshaus in Eisenach als Waffenlagerstätte für »Knockout 51« zur Verfügung gestellt. Außerdem sollen mithilfe eines sich dort befindlichen Partei-Computers und eines 3D-Druckers Teile für eine halbautomatische Schusswaffe gedruckt worden sein, die schon im ersten »Knockout 51«-Verfahren eine Rolle gespielt hatte. Zum Prozessauftakt äußert sich der Heimat-Abgeordnete nicht zu den Vorwürfen.
Die anderen beiden Angeklagten – die an diesem Tag ebenfalls schweigen – sind deutlich jünger als der 44-jährige Wieschke und stehen für die Gewaltbereitschaft, die von »Knockout 51« ausging. Beide sitzen in Untersuchungshaft und werden in Handfesseln in den Saal geführt.
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Der Hauptangeklagte – ein 1998 geborener und in der Thüringer Neonazi-Szene gut vernetzter Rechtsextremist – hält sich einen dicken Aktenordner vors Gesicht, als er in den Saal geführt wird. Ihm wirft der Generalbundesanwalt vor, bei »Knockout 51« Rädelsführer gewesen zu sein und sich auch um die ideologische Schulung der Mitglieder gekümmert zu haben. »Ihm ging es bei seinen Vorträgen darum, Hass zu verbreiten, was er als Qualitätsmerkmal ansah«, sagt der Vertreter des Generalbundesanwalts im Gerichtssaal. Der dritte, 35 Jahre alte Angeklagte wiederum gilt als besonders gewalttätig. Er soll dazu bereit gewesen sein, ein Auto in eine Gruppe Linker zu fahren, um diese zu töten – ein Plan, der nie umgesetzt wurde, weil es den erwarteten Angriff von links nicht gab; jedenfalls nicht zu dem von den Neonazis erwarteten Zeitpunkt. Diesem Mann wirft der Generalbundesanwalt außerdem vor, an dem Versuch von »Knockout 51«-Mitgliedern beteiligt gewesen zu sein, sich eine Maschinenpistole selbst herzustellen.
Während des Prozesses ist zu erwarten, dass die Übergriffe von Linken auf Neonazis in den vergangenen Jahren ein zentrales Element in der Verteidigungsstrategie der Angeklagten sein wird. Im Prozess wird es auch darum gehen, ob »Knockout 51« eine kriminelle Vereinigung war – wie das Oberlandesgericht es bislang gesehen hat – oder doch sogar eine terroristische Vereinigung, wie der Generalbundesanwalt das glaubt.
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