- Politik
- Nach Anschlägen kündigt Iraks Präsident Nuri al-Maliki Offensive an
Dem Terror und der Gewalt in Irak folgen nun Hunger und Kälte
Neue Anschläge und »undurchsichtige Staatsführung« bringen Premier zunehmend in Kritik
»Wir haben hier eine Katastrophe, wir müssen zu viele Leichen zählen, einige sind nur noch Fleischfetzen.« Der Pfleger des Al-Kindi- Krankenhauses wirkt erschöpft, als er das Filmteam des arabischen Nachrichtensenders Al Dschasira zur nahe gelegenen Totenhalle führt. Dutzende Leichen liegen in einer Gasse vor dem Gebäude, der Sender zeigt erschütternde Szenen von Angehörigen, die ihre Toten abholen. Mehr als 100 Tote und über 200 Verletzte lautet die Bilanz am zweiten Tag nach den schweren Anschlägen, die auf zwei Kleintiermärkten in Bagdad verübt wurden. Die Märkte, auf denen Federvieh aller Art verkauft wird, sind ein beliebtes Ziel der armen Bevölkerung.
Nach Angaben des irakischen Militärsprechers, Brigadegeneral Kassim al-Moussawi, sollen zwei psychisch kranke Frauen die Anschläge verübt haben. Sie hätten Sprengstoffwesten getragen, die per Fernzündung ausgelöst worden seien, erklärte der General in Bagdad. »Wir haben die Mobiltelefone gefunden, die dafür benutzt worden sind.« Die Begründung lässt allerdings offen, wie man aus den zerfetzten Überresten mutmaßlicher Täter schließen will, dass es sich nicht nur um Frauen, sondern auch um psychisch Kranke gehandelt haben soll.
Al Qaida sei wegen der erfolgreichen »Säuberungswelle« des US-Militärs, wegen der vielen Kontrollpunkte und Mauern in Bagdad in ihrer Aktivität eingeschränkt, erklärte General Al-Moussawi. Darum nutze die Terrorgruppe jetzt Frauen und Kranke als Bombenträger. Als »letztes Aufbäumen von Al Qaida im Irak« bezeichnete auch der irakische Ministerpräsident Nuri al-Maliki die Anschläge. Nach den jüngsten Anschlägen von Bagdad bekräftigte Al-Maliki, die irakische und amerikanische Armee würden in Mossul die »entscheidende Schlacht« gegen Al Qaida führen.
Verteidigungs- und Innenministerium teilten derweil mit, die Zahl der zivilen Todesopfer sei weiter gesunken. Während im Oktober 2007 noch 887 Tote gezählt wurden, seien es im Januar »nur noch« 541 gewesen. Auf eine ebenfalls Ende Januar veröffentliche Analyse des britischen Meinungsforschungsinstituts »Opinion Research Business« (ORP), ging die irakische Regierung bisher nicht ein. Demnach soll die Zahl der getöteten irakischen Zivilisten seit der US-geführten Invasion 2003 bei mindestens 946 000 und höchstens 1 120 000 liegen. Laut ORP wurden 2414 Erwachsene in 15 der 18 irakischen Provinzen befragt. Kerbela und Al Anbar waren aus Sicherheitsgründen ausgeschieden, die kurdische Provinz Erbil verweigerte den Umfrageteams den Zutritt. Im August 2007 hatte ORB bereits ähnliche Zahlen aus irakischen Städten veröffentlicht. Ergänzt wurde die Umfrage nun durch 600 Befragungen in ländlichen Gebieten.
Die Anschläge und hohen Opferzahlen bedeuten für Nuri al-Maliki einen herben Rückschlag, zumal er auch politisch vom Parlament für undurchsichtige Staatsführung ins Kreuzfeuer genommen wird. Sein Stellvertreter, Barham Salih und Finanzminister Bayan Solagh, mussten erneut Rede und Antwort über den Etat 2008 in Höhe von 48 Milliarden US-Dollar stehen, der von allen Fraktionen kritisiert wird. Nassar al-Rubaie, Sprecher der Sadr-Bewegung, kritisierte, es sei nicht genug Geld für die Bildung vorgesehen und auch nicht, um die monatlichen Essensrationen der Bevölkerung zu finanzieren. Andere Abgeordnete kritisierten, es fehle ein Finanzkonzept gegen Armut und Arbeitslosigkeit.
Am meisten Kritik erntet aber die Entscheidung, 17 Prozent des Haushalts, 8,16 Milliarden US-Dollar, an die kurdische Regionalregierung abzuführen. Auch die Kosten für die kurdische Peschmerga sollen aus dem Budget des nationalen Verteidigungsministeriums bezahlt werden. Osama al-Nujaifi, Sprecher der »Irakischen Nationalen Liste« des früheren Ministerpräsidenten Ijad Allawi, kritisierte, es fehle ein schlüssiger Rechenschaftsbericht. Ijad al-Samarrai von der Sunnitischen Nationalen Einheitsfront warf der Regierung vor, so zu tun, als sei man für die Ausgaben nicht verantwortlich.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.