Sein Joik eröffnete die Lillehammer-Spiele

Nils Aslak Valkeapää, der bedeutendste samische Dichter, singt nicht mehr

  • Jochen Reinert
  • Lesedauer: 5 Min.
Sie erinnern sich vielleicht: Vor acht Jahren, am 12. Februar 1994, war der samische Poet Nils Aslak Valkeapää eine der Hauptfiguren des Eröffnungsprogramms der Olympischen Winterspiele im norwegischen Lillehammer. Mit seinem Joik, dem traditionellem Sprechgesang der skandinavischen Minderheit der Samen, gab er quasi das Startsignal für das große Sportfest. Doch die Eröffnung der Spiele in Salt Lake City konnte er nicht mehr erleben, er ist kurz vor Jahreswende auf der Heimreise von einem Auftritt in Japan in Helsinki gestorben - seit 1996 hat er an den Folgen eines Autounfalls, der ihm beinahe das Leben kostete, schwer gelitten. »Damit hat nicht nur das Samenland«, notierte die Osloer Zeitung »Friheten«, »sondern ganz Skandinavien eine seiner hervorragendsten Kulturpersönlichkeiten verloren«. Helsinki war Aillohas, wie er von den Seinen genannt wurde, wohl vertraut. Unter samischen Rentierzüchtern 1944 im nordfinnischen Enontekiö geboren, studierte er in Helsinki Pädagogik. Hier, in der finnischen Hauptstadt, hat er in den unruhigen 60er Jahren wichtige Anregungen für sein künstlerisches Schaffen als auch für sein politisches Engagement erfahren. In einer Zeit, in der die samische Kultur ein Opfer der Assimilierungspolitik der nordischen Regierungen zu werden drohte und viele samische Jugendliche ihre Wurzeln zu verlieren begannen, verquickte Valkeapää den Joik mit modernen musikalischen Ausdrucksformen wie Jazz und Rock - mit großem Erfolg nicht nur in den samischen Gemeinden. Mit seiner Schallplatte »Joikuja«, die 1968 herauskam, hat er die neue samische Musik und ihre Akteure entscheidend geprägt. Bald machte Valkeapää auch als ein Mann der Feder auf sich aufmerksam. In seinem erstem Buch, die pamphletartige Schrift mit dem ironischen Titel »Terveisiä lapista« (Grüße aus dem Samenland) griff er die skandinavischen Behörden wegen ihrer Behandlung der Samen an. Damit fand er viel Zustimmung in Sapmi, dem rund 400000 Quadratkilometer großen Siedlungsgebiet der Samen auf der Nordkalotte, aber auch bei den anderen Urvölkern der Arktis und Nordamerikas, die sich gerade mit dem Weltrat der Urvölker (WCIP) eine eigene Vereinigung schufen. Und sogleich wurde der neue Hoffnungsträger aus dem Samenland zum ersten Sekretär des Weltrates berufen. In dieser Eigenschaft machte er sich unter anderem als Organisator von Kulturfestvals der Urvölker einen Namen. Diese vordergründig politische Aufgabe verband Valkeapää mit vielgestaltigem eigenen künstlerischen Engagement, unter dem seine Dichtungen bald einen besonderen Rang einnahmen. Von großer poetischer Kraft zeugten bereits seine ersten Gedichtbände »Wege des Windes« und »Die Viddas in mir«, in denen er immer wieder die großen Kontraste im Leben der Samen, ihre abschätzige Behandlung in den skandinavischen Gesellschaften und ihre intensive Begegnung mit harten Natur der Viddas (Hochweiden), gestaltet: »Sie kommen zu mir/und zeigen mir Bücher/Gesetzbücher/die sie selber geschrieben/haben/...Aber ich sehe nicht hin Bruder/ich sehe nicht hin Schwester/ ich sage nichts/ich weise nur in Richtung der Fjälle.« Bald wurde der junge Same als Anwärter für den begehrten Literaturpreis des Nordischen Rates gehandelt. Den Literatur-Olymp des Nordens erklomm er schließlich 1991 mit dem 460-Seiten-Epos »Beaivi áhcázan« (Sonne, mein Vater), einem magischen Panorama samischen Daseins, eine ungewöhnliche Kombination von Versen, eigenen Zeichnungen und alten und neuen Fotografien, verwoben mit dem alten Mythos, die Samen seien Kinder der Sonne. In den großen Städten fühlte sich Valkeapää fremd und einsam, nicht aber in seiner Holzhütte nahe dem finnischen Karesuando, wo er viele Jahre mutterseelenallein lebte, bis er an die nordnorwegische Atlantikküste zog. Von der Tür seiner Hütte leuchtete eine große Sonne auf zinnoberrotem Grund - magisches Symbol einer harmonischen Welt, die für ihn schon Geschichte war: »Es gibt keine Zukunft für Menschen wie mich. Ich kann nicht dicht an dicht mit anderen leben, wenn die ganze Erde bevölkert sein wird und sich kein Raum mehr zum Atmen findet wie dieser«. Trotz selbst gewählter Einsamkeit blieb Aillohas ein weltoffener Künstler, gab in vielen Ländern Konzerte, nahm den Prix Italia für seine »Vogelsinfonie« entgegen und wurde von mehreren Universitäten mit Ehrendoktorhüten bedacht. In seiner Dichtung verflocht Valkeapää immer wieder die samische mit der großen Welt. In dem Gedichtband »Wenn die Lappmeise gelacht hätte« sind Gedanken aus Anlass des 50. Jahrestages der Beendigung des Zweiten Weltkrieges, der den finnischen und norwegischen Samen von deutschen Nazitruppen »verbrannte Erde« brachte, neben innigen Versen über seine Mutter ausgebreitet. Ahnungsvoll Aillohas Ruf: »Oh mein Gott/lass mich hinausziehen/...kommen zum ewigen Strand der Sonne/Die blauen Nächte nähern sich.« Valkeapää bäumte sich immer wieder gegen seine Schmerzen auf, trat mit einem neuen Epos »Eanni eannázan« (Erde, meine Mutter) an die Öffentlichkeit, verabschiedete sich voriges Jahr auf dem von ihm 1972 mitbegründeten samischen Osterfestival in Kautokeino mit einem großen Konzert von seinen Fans. In der Winterkälte der Nordkalotte, in der er am 23. März 1943 in einem Rentierschlitten geboren wurde, trugen ihn jetzt seine Freunde, darunter die Präsidenten der drei nordischen Samentinge, im norwegischen Kåfjord unweit von Tromsö zu Grabe. Norwegens Kulturministerin Valgerd Svarstad Haugland würdigte ihn in ihrer Trauerrede als »einen der hervorragendsten Botschafter des Samenvolkes«. Doch noch vor Ende der Zeremonie, berichtete die Regionalzeitung »Nordlys«, hastete die Ministerin zum Flugzeug. Bei allem, was sich seit Valkeapääs ironisch-anklagenden »Grüßen aus dem Samenland« in der Politik der nordischen Regierungen gegenüber ihren Urbevölkerungen zum Besseren gewendet hat, sahen manche der Trauernden darin ein Indiz für noch nicht völlig erreichte Akzeptanz und Gleichstellung ihrer Ethnie.

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