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Satan in Eden
Günter Seuren: »Die Galapagos-Affäre«
Das sensationelle Drama von damals versucht Seuren heute mittels Psychologie zu enträtseln. Dafür nutzt er eine Rahmenhandlung: 1938 liegt Dore Strauch, 36, nach einem Selbstmordversuch in der Psychiatrischen Klinik Berlin-Wittenau und wird mehr verhört als behandelt. Tödlich geschwächt von allem, was sie auf Galapagos erlitten hat, muss sie nun auch diesen Konflikt bestehen: sich seelisch zu entlasten, ohne sich juristisch zu belasten. Denn das Abenteuer von 1929 endete sieben Jahre später mit drei mysteriösen Todesfällen. Waren es Morde?
Der Mann, dem Dore in blinder Bewunderung auf die menschenleere Galapagos-Insel Floreana gefolgt war, hieß Dr. Ritter und war in Berlin als Modearzt reüssiert. Er hatte auch die selbstunsichere Dore vom Hinken geheilt und sie von der Kraft seines übermenschlichen Willens überzeugt. Warum er plötzlich der Zivilisation den Rücken kehrte, wird nicht recht klar. Auf alle Fälle hatte ihm Nietzsche souffliert. Und nun chronologisch: Um sich am anderen Ende der Welt ein Paradies zu schaffen, verkuppeln die beiden Abenteuerlustigen ihre langweiligen Ehepartner miteinander und lassen sich Stahlgebisse einsetzen. »Wir gehen, weil die Seele mehr Platz braucht als der Körper«, tönt Ritter zum Abschied und später schon präfaschistisch: »Wir brauchen eine neue Zeit, einen neuen Menschen, nicht diese wuchernde Masse, die nur an Verdauung und Fortpflanzung denkt.«
Um Ritters eigene Fortpflanzung ist es schlecht bestellt, obwohl er die Schuld Dore zuschiebt. Und für seine Verdauung macht er sie ebenfalls verantwortlich. Sie ist es, die auf der Insel einen Garten anlegt, Hühner züchtet, Schildkröteneier sucht, Früchte sammelt, kocht und einweckt, während er selbstgefällig alles Erdenkliche in seine Schreibmaschine hämmert: philosophische und triviale Gedanken, wissenschaftlich genaue Beobachtungen und linkische praktische Überlegungen, bioethische und arg anthropozentrische Ansichten - ein zeittypsicher Mix vom Vorabend des Herrenmenschentums. Einerseits fanatischer Vegetarier, möchte Ritter andrerseits »alles Tierische ausrotten«, das seinen »Lebensplan behindert«. Tatsächlich tötet der frühe Ökologe, der keinen Falter fangen mag, Wildschweine mit Zyankali.
Das Galapagos-Paradies hat seine Kehrseite: kalte Nächte, Stürme, Dürreperioden, scharfkantiges Lavagestein, Haie, Moskitos, Sandflöhe. Ritter reagiert stoisch auf alle Widrigkeiten, aber vermutlich nagt die Selbstüberforderung so an ihm, dass er bald impotent wird. Vom Verlust seiner Liebesfähigkeit bis zur Brutalität hat es ein Fanatiker nicht weit. Gereizt demütigt er Dore immer öfter. Vor der internationalen Presse allerdings spielen sie das seelenverwandte Traumpaar.
Ritters Publicity hat Folgen: Eines Tages zieht eine arbeitslose Familie aus dem Ruhrgebiet auf die Insel, und 1932 kommt »Satan nach Eden«; die bankrotte Pariser Baronin Eloise mit ihren beiden jüngeren Liebhabern. Eloise hat »die Courage einer Hochstaplerin«, säuft, stiehlt, krakeelt, knallt mit Reitpeitsche und Pistole um sich und verführt ratzbatz fast jeden Gast, der die Insel betritt, selbst den ecuadorianischen Gouverneur. So erwirkt sie, dass er ihr das größte Stück Land übereignet, auf dem sie nun eine Touristenhochburg plant. Woraufhin Ritter sie entmündigen lassen will. Hassduelle. Wie sich Eloise schließlich an Ritter rächt, ist amüsant. Wie sie dagegen Dore und ihren kränkelnden Liebhaber erniedrigt, ist gar nicht lustig. Gut denkbar, dass sich die beiden Gedemütigten auf der Insel ein wenig verbündet haben. Alsbald landen drei der Herrenmenschen im echten Paradies. In seinem Nachwort widmet Seuren seinen Roman ausdrücklich »den Frauen, die das falsche Paradies zu Fall bringen«.
Ein faszinierend wahrhaftiges Buch für alle, die auch gern aussteigen würden. Wer spielt nicht mit dem Gedanken, wo man uns nun schon mit dem Wort »Zivilisation« den Magen umdreht! Stellenweise wirkt der Roman sprunghaft und spröde: Die Seelenumschwünge hätte der Autor, wäre er besser lektoriert worden, tiefer ausloten, die exotische Landschaft atmosphärischer einbeziehen, die Vergangenheitsebenen sauberer trennen können. Dafür sind seine Dialoge wieder einmal reines Vergnügen: scharfzüngig und knapp. - Dieses Jahr wird Günter Seuren 70. Ob wohl irgendeine Preisjury einmal an den Einzelgänger denken wird?
Günter Seuren: Die Galapagos-Affäre. Roman. Ullstein Verlag. 317Seiten, gebunden, 19,90 EUR.
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