Die »Praxis«-Gruppe

1968 in Jugoslawien – die Studenten und die Partei

  • Bernd Hüttner
  • Lesedauer: 2 Min.

Der jugoslawische Bund der Kommunisten (BdKJ) begrüßte die weltweiten Proteste um 1968 ausdrücklich und reagierte anfangs auf die Proteste im eigenen Land freundlich. Das sollte sich jedoch dann ändern. Boris Kanzleiter und Krunoslav Stojakovic untersuchen die studentischen und gegenkulturellen Proteste in Jugoslawien vor 40 Jahren. Einer ausführlichen, sachkundigen Einleitung folgen 17 Interviews mit Zeitzeugen und danach 57 aufschlussreiche, mit einem kurzen Kommentar versehene Dokumente aus den Jahren 1958 bis 1974.

Die Kritik der Studierenden und Jugendlichen in Jugoslawien richtete sich gegen die unter dem Deckmantel der Arbeiterselbstverwaltung existierenden Privilegien und gegen bürokratische Gängelei. Sie forderten mehr kulturelle Liberalität und Meinungs-, Presse- und Versammlungsfreiheit. Die Kritik artikulierte sich innerhalb der offiziellen kommunistischen Ideologie und verlangte die Umsetzung des Programms des BdKJ von 1958 sowie der Verfassung von 1963. Ein wichtiger Knoten im Netzwerk der Oppsosition war die Gruppe »Praxis« rund um die gleichnamige Zeitschrift. Das 1964 gegründete Blatt, das zehn Jahre darauf, 1974, verboten wurde, war eine wichtige Plattform für die Neulektüre vor allem der Frühschriften von Karl Marx, aber auch von Theoretikern der Neuen Linken im Westen. Ausgehend vom Begriff der »Entfremdung« traten viele Intellektuelle für ein alternatives Sozialismusmodell ein. Sie beklagten die Verstärkung der Unterschiede zwischen den einzelnen Republiken Jugoslawiens und traten für ein geeintes sozialistisches Land ein. In ihren warnenden Prognosen waren bereits Ursachen genannt, die später – neben äußeren Einflüssen – zum Zerfall Jugoslawiens führen sollten. Propheten gelten jedoch bekanntlich im eigenen Lande nichts. Bis Mitte der 1970er Jahre war auch in Jugoslawien die 68er-Bewegung zerschlagen und in den privaten Raum zurückgeworfen.

Die Herausgeber haben viel Arbeit in dieses Buch gesteckt. Bei den Dokumenten handelt es sich größtenteils um deutsche Erstübersetzungen. Geboten werden Texte und Reden aus der Studentenbewegung und von künstlerischen Avantgarden. Das Buch leistet einen wichtigen Beitrag, einen bisher blinden Fleck in der Geschichte der europäischen Linken auszuleuchten.

Boris Kanzleiter/Krunoslav Stojakovic: 1968 in Jugoslawien. Studentenproteste und kulturelle Avantgarde zwischen 1960 und 1975. J.H.W. Dietz Verlag, Bonn 2008. 352 S., geb., 38 EUR.

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