Reden ist Silber, Schweigen ist Gold - auch im Strafverfahren?
Lesedauer: 4 Min.
Nach dem Gesetz (§ 136 StPO) und auch als Recht mit Verfassungsrang anerkannt, muss kein Verdächtiger, Beschuldigter oder Angeklagter sich selbst belasten. Insbesondere darf er die Aussage verweigern (Aussagefreiheit). Lediglich die kleinen Personalien sind anzugeben. Dieses Recht eines Beschuldigten und Angeklagten ist von fundamentaler Bedeutung für ein faires rechtsstaatliches Strafverfahren. Denn grundsätzlich kann jede Äußerung, die ein Beschuldigter oder Angeklagter zur Sache macht, gegen ihn verwendet werden. Das bedeutet zugleich, dass das Schweigen, die Nichteinlassung zur Sache, nicht zum Nachteil des Beschuldigten bzw. Angeklagten verwertet werden darf.
Zur Aussagefreiheit wird erklärt: Wer schweigt, verzichtet damit auf sein Recht, sich redend zu verteidigen. Dieses Recht der Aussagefreiheit gilt auch für denjenigen, der als Zeuge vernommen wird; auch er kann eine Auskunft auf solche Fragen verweigern, deren Beantwortung ihm selbst oder einem nahen Angehörigen die Gefahr zuziehen würde, wegen einer Straftat oder einer Ordnungswidrigkeit verfolgt zu werden (§ 55 StPO). So der erste Gedanke zum Thema.
2) Die Aussagefreiheit kann sowohl in der Weise wahrgenommen werden, dass erklärt wird, es werde keine Einlassung zur Sache erfolgen. Aber auch ein pauschales Bestreiten oder Sich-nicht-für-schuldig-Erklären ist ein solches Schweigen, ein Nichteinlassen zur Sache. Das gilt auch in dem Fall, in dem der betreffende Beschuldigte oder Angeklagte sich lediglich mit Verfahrensfragen oder Rechtsfragen auseinander setzt, indem er z.B. das Vorliegen eines Verfahrenshindernisses (etwa der Verjährung) geltend macht.
3) Ob von dieser Aussagefreiheit, dem Recht zu schweigen, Gebrauch gemacht werden soll, und wie, hängt vor allem von der Beweislage ab. Wenn die Beweislage erdrückend ist, z.B. wenn der betreffende Gegenstand bei dem Beschuldigten bzw. Angeklagten vorgefunden wurde, kann es prozesstaktisch gut und richtig sein, vollständig zu schweigen.
Ein solches Verhalten, zum Tatvorwurf keine Aussagen zu machen, kann sinnvoll sein, wenn bei der erdrückenden Beweislast eine Verurteilung ohnehin gewiss ist. Denn durch eine Einlassung könnte es womöglich dazu kommen, dass die Strafe noch schwerer ausfallen würde, wenn der Beschuldigte gegenüber der Kriminalpolizei oder gegenüber der Staatsanwaltschaft spricht. Beispielsweise, indem er über die erdrückende Beweislage hinaus weitere Zusammenhänge erkennen lässt. Durch solche Einlassungen kann die Tat schwerer wiegen und kann es zu einer strengeren Bestrafung kommen.
4) Es ist also schon wesentlich, dass von dem Recht der Aussagefreiheit, also dem Recht zu schweigen, vollständig Gebrauch gemacht wird, und zwar in den oben dargestellten Formen. Wichtig ist, dass ein solches Aussageverhalten von Anfang an an den Tag gelegt wird. Womöglich später ein anderes Aussageverhalten zu zeigen, etwa zu bestimmten Komplexen des Tatvorwurfs dann doch noch Äußerungen zu machen, ist stets viel günstiger, als wenn zunächst eine Einlassung zur Sache erfolgt und später ein Geständnis widerrufen wird oder sonst eine Korrektur oder wesentliche Ergänzung erfolgt.
In dem Fall, dass ein Angeklagter von seiner Einlassung, die er vor der Kriminalpolizei gemacht hat und die dort protokolliert wurde, zum Beispiel von einem Geständnis später abrückt, hilft ihm das wenig. Denn das Gericht ist befugt, die damaligen Vernehmer als Verhörspersonen zeugenschaftlich zu hören und auf diesem Wege die protokollierten Einlassungen des Beschuldigten bzw. Angeklagten (mitunter aber auch Äußerungen des Betreffenden am Rande der Vernehmung!) durch diese Zeugen in das Verfahren einzuführen und der Entscheidung zu Grunde zu legen.
5) Die Frage, ob und wann von dem Recht zu schweigen Gebrauch gemacht wird, ist für einen Verdächtigen, einen Beschuldigten, aber auch für einen Angeklagten allein sehr schwer zu beurteilen, schon weil er meist nicht zuverlässig weiß, welche Beweise gegen ihn vorliegen, welche Beweise die Staatsanwaltschaft hat. Schon deshalb, weil der Verteidiger Akteneinsicht erlangen kann und einen besseren Einblick in die Beweislage hat, dürfte die Entscheidung, ob ein Verdächtiger, Beschuldigter oder Angeklagter von dem Recht zu schweigen Gebrauch macht, ohne einen solchen kaum begründet und zuverlässig getroffen werden können.
Ein Schweigen gerade am Anfang, womit man sich vorbehält, evtl. später doch Einlassungen zu machen, ist auch deshalb von großer Bedeutung, weil ein solches anfängliches Schweigen (vor der Polizei) nicht als Beweisanzeichen zum Nachteil des Betreffenden verwertet werden darf.
Prof. Dr. ERICH BUCHHOLZ; Rechtsanwalt
(Wird fortgesetzt)
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.