Das Vertrauen in die Politik ist längst dahin
Luis Dr. Shenka, Sänger der Band Panteón Rococó, über musikalische Unabhängigkeit und die Krisen Mexikos
ND: In wenigen Tagen startet die Europa-Tournee von Panteón Rococó. Haben Sie neue Perlen im Gepäck?
Luis Román Ibarra: Ja, natürlich, wir haben rund 25 neue Stücke. Schließlich wollten wir bis zur Tour unser neues Album fertigstellen. Als Demo ist es tatsächlich weitgehend fertig, auch die Auswahl der Stücke ist abgeschlossen. Nur mit der Produktion hat es nicht mehr ganz geklappt. Es dauert eben etwas länger, wenn man sich um alles selber kümmert, so wie wir es jetzt tun.
Sie haben Ihrer Plattenfirma SonyBMG einen Korb gegeben?
Ja. Panteón Rococó ist als unabhängige Band gestartet, nun sind wir wieder autonom – und stolz darauf.
Ein ungewöhnlicher Zeitpunkt, sich selbstständig zu machen – mitten in der Krise. Die ökonomische Situation Mexikos ist schwierig. Es gibt viele Entlassungen, die Wirtschaft schrumpft und der Drogenkrieg tobt.
Klar haben wir Angst, auf die Nase zu fallen. Es stimmt, dass die Situation in Mexiko alles andere als rosig ist, aber das ist nicht das einzige Kriterium. Wir haben immer Wert darauf gelegt, wieder auf eigenen Beinen zu stehen. Schließlich haben wir unser erstes Album eigenständig aufgenommen. Als damals ein Bandmitglied mit der Kohle durchbrannte, waren wir aber ganz froh, dass BMG um die Ecke kam. Klar hatten wir Vorteile in Sachen Vertrieb, aber nun haben wir endlich unser eigenes Studio, müssen nichts mehr mieten und können auch anderen Bands eine Chance geben.
Hat die Band das Studio selbst finanziert?
Ja, jeder hat etwas zum »Cocodrilo solidario«, so heißt das Studio, beigetragen. Mit dem Studio haben wir die Möglichkeit, das Gros unserer Zeit mit Musik zu verbringen, das war immer unser Traum. Und obendrein können wir von unserer Musik leben. Das ist allerhand. Wir haben das Studio im Zentrum von Mexiko Stadt aufgebaut, in direkter Nähe der Stadtviertel, in denen wir leben. Heute bietet es alles, was man braucht. Dort geben wir jungen, mittellosen Bands die Chance, aufzunehmen. Es gibt einen Haufen guter Rockbands mit guten Texten! Uns bietet die Arbeit mit Ihnen eine Fülle neuer Inspirationen – das macht riesigen Spaß.
Haben Sie eine neue Herausforderung gesucht?
Nicht nur ich. Ich mag es, mit anderen Bands zu arbeiten und ich habe auch eine Vorliebe für Musikstile, die bei Panteón keinen Platz haben. Mir gefällt Dub Reggae und Jungle, ich habe noch ein zweites Bandprojekt und zwei Mal die Woche stehe ich an den Turntabels.
Wie ist die aktuelle Situation in Mexiko? Man hört nichts Gutes.
Mexiko ist ein blutiges Land, hier tobt ein Krieg. Vor allem im Norden des Landes ist die Lage ausgesprochen brisant, und die Situation mit dem Drogenhandel ist sehr schwierig. Die Politik enttäuscht, denn Teile der Bevölkerung werden von den Parteien einfach nicht repräsentiert. Wir haben eine ultrarechte Regierung, eine Partei, die wiederaufersteht, obgleich sie lange Jahre das Land quasi diktatorisch regierte, die PRI, und wir haben eine große linke Partei, die sich selbst zerfleischt und keine Ergebnisse vorzuweisen hat. Das Vertrauen in die Politik ist längst dahin, vor allem bei der Jugend.
Hat die Politik die Jugend überhaupt im Blick?
Schauen Sie sich den Haushalt an: Alles wird dem Krieg gegen die Drogen und dem Kampf gegen die Schweinegrippe untergeordnet. Für Bildung, für die Jugend, die in diesem Land die Bevölkerungsmehrheit stellt, stehen de facto kaum Mittel zur Verfügung. Dabei verkörpert die Jugend die Zukunft. Das ist – wie sagt man auf Deutsch – ach ja: eine große Scheiße.
Ist das auch Thema in den neuen Stücken?
Oh ja, genauso wie der Kampf für die gleichgeschlechtliche Ehe, der Kampf gegen die Kriminalisierung aller Drogen. In Mexiko ist jemand schon ein Drogendealer, wenn er mit einem Joint erwischt wird, da stimmen die Verhältnisse nicht. Null Toleranz gegenüber Konsum ist Schwachsinn, letztlich ist die Legalisierung die einzige Option. Ein anderes Thema sind die indigenen Minderheiten, um die sich weder die Regierung von Fox noch die von Calderón gekümmert haben. Auch die Migration ist ein latentes Problem, das kaum wahrgenommen wird.
Mexiko ist ein trauriges Land, und wir berichten darüber, was passiert – auch deshalb machen wir Musik.
Fragen: Knut Henkel
Panteón Rococó auf Tournee:
16.8. Hamburg
18.8. Rostock
19.8. Augsburg
20.8. Heidelberg
21.8. Potsdam,
22.8. Erfurt (High-field Festival) u.a.
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