»Das Gewaltigste an Gemeinschaft«
Kein Gesamtkonzept für das ehemalige KdF-Seebad Prora auf Rügen
Wer von Binz aus am Strand entlangläuft, sieht zunächst einmal gar nichts. Erst wenn man links einbiegt und durch ein Stück bewaldete Dünen geht, taucht es auf, das viereinhalb Kilometer lange »Seebad der Zwanzigtausend«. Während des Faschismus, dessen sozialen Anspruch das monumentale Bauwerk belegen sollte, wurde Prora weder fertiggestellt noch touristisch genutzt; heute sind, trotz Denkmalschutz, weite Teile dem Verfall preisgegeben. Zerbrochene Fensterscheiben, zugenagelte Türen ...
Auch in Block 3 sieht es nicht gerade lebendig aus. Doch gibt es zwischen der M3 Diskothek links – »in ist, wer drin ist« und der Bildungs- und Beschäftigungsgesellschaft Rügen rechts immerhin das Dokumentationszentrum Prora. Seit fünf Jahren informiert am historischen Ort die wissenschaftlich fundierte Dauerausstellung »MACHTUrlaub« über die Geschichte des Baus. Prora wurde von der NS-Organisation Kraft durch Freude (KdF) zwischen 1936 und 39 errichtet; bis zu 20 000 Menschen sollten hier gleichzeitig Urlaub machen können. Die Grundsteinlegung feierten Partei, Wehrmacht und Reichsbahn am 2. Mai 1936, dem dritten Jahrestag der Zerschlagung der Gewerkschaften, mit einem riesigen Propagandafest. Robert Ley, Leiter von KdF und Deutscher Arbeitsfront, kündigte in seiner Rede an, in Prora werde »einst das Gewaltigste an Gemeinschaft herrschen, was man überhaupt kennt«.
KdF sei nicht die gute, soziale Seite des Nationalsozialismus, sondern von Anfang an Bestandteil eines auf Krieg und Vernichtung ausgerichteten Regimes gewesen, erklärt Heike Tagsold, wissenschaftliche Mitarbeiterin der Stiftung Neue Kultur, die das Dokumentationszentrum mit Geldern von Bund, EU und dem Land Berlin betreibt. Deswegen soll die Geschichte des KdF-Seebads Prora im Rahmen der NS-Geschichte dargestellt werden. »Der rote Faden der Ausstellung ist das Konzept der Volksgemeinschaft.«
Doch selbst am fünften Jubiläumstag der Ausstellung verirren sich nur wenige Urlauber ins Dokumentationszentrum. Das mag an Sonne und Strand liegen, kann aber auch mit Konkurrenz zu tun haben: der privaten »KulturKunststatt Prora« ein paar Schritte weiter Die versprach ein »all in one 6-Stock-Treppenhaus-Erlebnis« und zeigt eine wilde Mischung von NVA-Uniformen, NS-Abzeichen und KdF-Reiseprospekten. Über Besucherzahlen will der Mann am Eingang zwar nichts verraten – das sei »Betriebsgeheimnis« –, ein Schild hinter ihm an der Wand verkündet aber stolz, dass seit der Eröffnung 1994 1,25 Millionen Besucher gekommen seien – und das trotz saftiger 6,50 Euro Eintritt.
Vielleicht ist das Dokumentationszentrum aber auch zu unbekannt, zu unattraktiv auch wegen seiner langen, weiß gekalkten und – selbst bei hochsommerlichen Temperaturen – klammen Ausstellungshallen. Kaum vorstellbar, dass hier Projekte mit Schulklassen stattfinden, bei denen sich Jugendliche das Gelände und die Geschichte Rügens während Faschismus selbst erschließen können. Auch Interviews mit polnischen, ukrainischen und tschechischen Zwangsarbeitern stehen den Schülern zur Verfügung. Denn nach Kriegsbeginn mussten Menschen aus den von Deutschland besetzten Ländern auch im KdF-Bad Sklavenarbeit leisten.
Fast zwanzig Jahre nach der Wende bleibt die Zukunft des Ortes unklar. »Scheibchenweise« sei der Bau vom Bund an private Investoren veräußert worden, erzählt Tagsold, ein Nutzungskonzept nicht erkennbar. Doch bleibe es wichtig, dass Besucher über die Geschichte aufgeklärt würden – »sonst wird Prora irgendwann ein normaler Urlaubsort«. Dann könnten Rechte den Mythos vom sozialen Charakter des NS-Regimes wieder für sich nutzen – wie aktuell in Wolfsburg, wo Neonazi-Anwalt Jürgen Rieger ein KdF-Museum errichten will.
Neue Pläne gibt es derzeit für Block 5 des Bauwerks, wo mit finanzieller Unterstützung vom Bund, dem Land Mecklenburg-Vorpommern und der EU eine Jugendherberge mit 500 Betten entstehen soll. Zu sehen ist davon noch nicht so viel. An einer Häuserwand steht: »The only good system is a soundsystem«.
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