Folgenloses Gedöns
Wahlkampfthema Bildungsföderalismus
Es gab Zeiten, da wurde von Politikern alles, was mit Kindern, Schule und Familie zu tun hatte, als »Gedöns« diskreditiert. Bildung, so hieß es noch vor zehn, fünfzehn Jahren, ist allenfalls ein »weicher Standortfaktor« im Kampf um Investoren. Seit dem PISA-Desaster hat sich das geändert. Bildungspolitik ist zum Megathema geworden. Sie darf auch im derzeit vor sich hin grauselnden Wahlkampfs nicht fehlen. Da der Bund sich mit dem sogenannten Kooperationsverbot in der Föderalismusreform selbst kastriert hat, werden die Töne von Politikern zum Thema Bildung umso schriller.
Bildung soll wieder zur Bundessache werden, hieß es dieser Tage aus den Reihen der SPD. Das ist eine wohlfeile Forderung, denn sie bleibt ja folgenlos, da sie mit der Lebenswirklichkeit der Menschen nichts zu schaffen hat. Man schaue sich zum Beispiel den Berliner Stadtteil Prenzlauer Berg an, der als Heimstatt des modernen Bürgertums gilt, das von den Bundestagsparteien umworben wird. Die Zahl der Paare mit Kindern ist in den letzten Jahren dort rasant gestiegen. Das Kinderkriegen ist dort zu einem Statussymbol geworden, das man sich leisten kann und entsprechend sorgt man sich um die Entwicklung des Nachwuchses. Neuester Trend: Hörende Erwachsene lernen die Gehörlosengebärdensprache, um sie an ihre noch nicht des Sprechens mächtigen, ebenfalls nicht gehörlosen Zöglinge weiterzugeben. Es heißt, dadurch würden sich die neuralen Netze in den kleinen Gehirnen verbessern, was sich wiederum positiv auf das spätere Lernen in der Schule auswirke.
Das mag verrückt sein, ist aber Ausdruck der zunehmenden Angst vieler Eltern, im Wettbewerb um Studienplätze und den Wohlstand sichernde Jobs könnten ihre Kinder künftig auf der Strecke bleiben. Das Verhalten dokumentiert allerdings auch die tiefe Spaltung der Gesellschaft. Die wiederum ist nicht unbedingt nur eine Frage des Geldbeutels. Immer größere Teile der Mittelschicht, die über die nötigen ökonomischen Ressourcen, aber auch über die entsprechende Bildung verfügen, verabschieden sich aus dem staatlichen Bildungssystem. Der private Nachhilfemarkt boomt, Lebensversicherungen werden verkauft und Großeltern opfern einen Teil ihrer Rente, um damit die Studiengebühren für das einzige Enkelkind der Familie zu bezahlen. Das dazu komplementäre Verhalten findet sich am unteren Rand des Sozialsystems: Die Zahl der Kinder, die von ihren Eltern nicht mehr zur Schule geschickt werden, steigt, und jährlich verlassen rund 76 000 Jugendliche – das Gros davon aus bildungsfernen Familien – die Schule ohne Abschluss.
Richtig ernst nehmen beide Bevölkerungsgruppen die Bildungspolitik der Parteien sowieso nicht mehr. Eltern von schulpflichtigen Kindern sind zwar Wähler, doch sie leben mittlerweile in ihren eigenen Bildungsmilieus, die sich unabhängig davon entwickeln, wie viele Mitspracherechte der Bund in Bildungsfragen hat.
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