SPD beschwört Richtungswahl
Mit personellem Aufwand bestritt die Partei den Bildungskongress in Kiel, ein Funke sprang nicht
Bildung als Schlüsselaufgabe, als Schicksalsfrage des nächsten Jahrzehnts. Für die Sozialdemokraten ist der 27. September mehr als ein einfacher Urnengang. Es ist eine Richtungswahl! Dies betonte auch Kanzlerkandidat Frank-Walter Steinmeier mehrmals bei seinem Auftritt an der Förde in seiner Rede am Donnerstag. Nach dem Bildungsaufbruch in den 70er Jahren sei es nun an der Zeit für eine neuerliche Bildungsoffensive, so der Außenminister.
Doch was nutzen die besten Vorhaben, wenn sie als Sturm im Wasserglas verkommen. Obwohl Steinmeier fast ausschließlich vor Parteimitgliedern sprach, redete er die Anwesenden dezent mit »Meine Damen und Herren« an. Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel fasste Steinmeier verbal nur mit Samthandschuhen an. Im Kieler Legienhof, wo bereits historisch bedeutsame Revolutionsreden geschwungen wurden, blieb der SPD-Spitzenkandidat sanft und zahm. Ein Seitenhieb auf Merkels Bildungsgipfel im Vorjahr, eine Anspielung auf ihre aktuelle, »menschelnde« Image-Kampagne (»Merkel redet zurzeit lieber über Kochrezepte«) – zu mehr Offensive rang sich der Herausforderer fürs Kanzleramt nicht durch.
Die Quittung war ein Anstandsbeifall – kurz, nicht überschwänglich. In seiner nicht einmal fünfminütigen Abmoderation des Kongresses agierte der in Kiel ebenfalls am 27. September nach dem Amt des Ministerpräsidenten greifende Ralf Stegner wesentlich kämpferischer und leidenschaftlicher als Steinmeier in 40 Redeminuten. Dass dieser aus terminlichen Gründen zuerst den Ort des Geschehens verließ, passte ins Bild der »verpassten Chance«. Aus seinem Kompetenzteam blieb immerhin noch Mecklenburg-Vorpommerns strohblonde Hoffnungsträgerin, Sozialministerin Manuela Schwesig, in der schleswig-holsteinischen Landeshauptstadt, um sich ein Mehrgenerationenhaus anzusehen.
Sie war gekommen, um neben Andrea Nahles, deren Handschrift das Bildungskonzept innerhalb von Steinmeiers »Deutschland-Plan« vor allem trägt, und der Bundestagsabgeordneten Carola Reimann (Forschungsexpertin im Steinmeier-Team) die personifizierte Glaubwürdigkeit in Sachen Bildung darzustellen. Brandenburgs SPD-Bildungsminister Holger Rupprecht, Nordrhein-Westfalens SPD-Chefin Hannelore Kraft und die im Vergleich zu Steinmeier explosive Ikbal Berber (im Team des saarländischen Ministerpräsidenten-Bewerbers Heiko Maas für Integration verantwortlich) – neben »geballter Prominenz« kam ein kurzer Videoclip zum Einsatz, der mit Kinderzeichnungen die wichtigsten Thesen und Botschaften in Sprechblasen aneinanderreihte – dies aber in viel zu schneller MTV-Manier.
In dem fünfseitigen Bildungspapier der SPD stehen angesichts jährlich 70 000 Jugendlichen ohne Schulabschluss und 100 000 jungen Menschen ohne Berufsausbildung viele kluge Dinge. Mit sieben Prozent des Bruttoinlandsprodukts und einer Anhebung der Vermögensteuer um zwei Prozent will die Partei die Kosten ihres Bildungsprogramms stemmen. Experten sagen mit Blick auf Skandinavien, dass dies immer noch zu geringe finanzielle Ressourcen seien.
Kernpunkt im SPD-Konzept ist der Abschied vom allein föderal betriebenen Bildungssystem – eine Forderung, die der Deutsche Städte- und Gemeindebund unterstützt.
Zeitgleich zum SPD-Kongress stellte das Institut der deutschen Wirtschaft (Köln) den jährlichen Bildungsmonitor vor, bei dem mit 102 bewerteten Kriterien Sachsen und Thüringen die Plätze eins und zwei belegen. Schleswig-Holstein ist unter einer SPD-Ministerin dagegen auf den drittletzten Platz unter 16 Ländern abgerutscht. Hätte die Partei das Resultat vorher in ihren Händen gehalten, wer weiß, ob man den »Bildungsaufbruch« in Kiel präsentiert hätte.
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