Flatrate gegen Falten

Botulinumtoxin killt Krähenfüße, kann aber Komplikationen verursachen

  • Walter Willems
  • Lesedauer: 3 Min.
Lange Zeit war das von Bakterien gebildete Gift Botulinumtoxin als Ursache von Lebensmittelvergiftungen gefürchtet. Inzwischen erzielt die Substanz Rekordumsätze als Medikament und als Faltenglätter.

Die von dem Bakterium Clostridium botulinum erzeugte Substanz zählt zu den stärksten Giften überhaupt: Zwei Kilogramm davon würden ausreichen, um die gesamte Menschheit zu vernichten. Ende der 1970er Jahre zeigte der kalifornische Augenarzt Alan Scott, dass der Stoff verkrampfte Muskeln lösen kann. So kurierte er zunächst das Schielen von Patienten, und alsbald auch Lidkrämpfe.

Botulinumtoxin hemmt die Impulsübertragung von der Nerven- auf die Muskelzelle. Es hilft gegen Muskelkontraktionen, aber es heilt nicht. Lässt die Wirkung nach einigen Monaten nach, muss das Mittel erneut gespritzt werden. Seit 1980 haben sich die medizinischen Anwendungen der Substanz stetig ausgeweitet. Zugelassen ist sie unter anderem gegen bestimmte neurologisch bedingte Bewegungsstörungen, Spastiken etwa nach einem Schlaganfall, Schiefhals und seit Kurzem auch gegen übermäßiges Schwitzen. Zudem nutzt man den Stoff erfolgreich gegen Schreibkrampf, überaktive Blase oder erhöhte Speichelbildung.

Aber nicht bei jeder Indikation ist die Wirkung erwiesen. »Nach derzeitiger Datenlage ist der Nutzen von Botulinumtoxin bei episodischer Migräne und chronischem Spannungskopfschmerz nicht ausreichend gesichert«, sagt der Augsburger Neurologe Markus Naumann. »Gegen diese Arten von Kopfschmerz hilft es wahrscheinlich nicht besser als ein Placebo.«

Seinen Ruhm verdankt das Gift, von dem in Deutschland vier Präparate auf dem Markt sind, vor allem der Eigenschaft als Faltenkiller. Inzwischen versprechen Schönheitszentren für eine Jahresgebühr von etlichen hundert Euro eine »Flatrate gegen Falten«, und auf sogenannten Botox-Parties verdienen sich Ärzte ein ordentliches Zubrot, indem sie Krähenfüße, Sorgenfalten und andere Unebenheiten der Gäste per Spritze glätten.

»Vor allem wegen der kosmetischen Behandlung ist Botulinumtoxin eines der umsatzstärksten Medikamente weltweit«, sagt Reinhard Dengler von der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH). »Und der Gebrauch nimmt weiter zu.« Eine medizinische Behandlung kostet zwischen 200 und 1000 Euro. Wie viel Geld die Hersteller verdienen, ist nicht bekannt. »Es gibt keine systematischen Zahlen und auch keine Schätzungen«, so Ulrich Hagemann vom Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfARM). Bei Schönheitsbehandlungen sei der Markt völlig intransparent. Hagemann äußerte Zweifel daran, dass auf Botox-Partys die Qualität der Behandlung gewährleistet sei. Die Handhabung des Stoffes erfordere ein besonderes Wissen. »Der Arzt muss die Anatomie der Nerven und Muskelfasern kennen, abhängig vom Injektionsort die richtige Dosis wählen und eine gute Injektionstechnik beherrschen«, sagt Hagemann. Das könnten nur Spezialisten.

Nicht alle Patienten geraten an solche Spezialisten, denn grundsätzlich darf jeder Arzt Botulinumtoxin spritzen. Und gerade Faltenbehandlungen sind besonders sensibel: Zwar werden dafür nur winzige Dosierungen verwendet, aber im Gesicht drängt sich auf engstem Raum eine Unzahl kleiner Muskeln. Färbt das Gift – wegen zu hoher Dosis oder falscher Injektionstechnik – auf benachbarte Muskelgruppen ab, drohen Atem- oder Schluckbeschwerden ebenso wie Augenprobleme oder erschlaffende Gesichtszüge. Meist bleibt den Betroffenen nicht anderes übrig, als geduldig abzuwarten, bis die Wirkung wieder nachlässt.

Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte registrierte bis vorigen Herbst 210 Verdachtsberichte über zum Teil schwere Komplikationen nach Botox-Behandlungen. Hagemann geht von einer wesentlich höheren Dunkelziffer aus. Tödliche Nebenwirkungen wurden in Deutschland bislang nicht bekannt. In den USA registrierte die Zulassungsbehörde FDA mehrere ungeklärte Todesfälle spastisch gelähmter Kinder. Nun müssen die Hersteller jenseits des Atlantiks Warnhinweise auf die Packungen drucken. Naumann rät Patienten, sich in ausgewiesenen Zentren behandeln zu lassen. Nur in der Hand erfahrener Mediziner sei Botulinumtoxin sicher.

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