Auswanderer auf Zeit
Handwerkskammern wollen Auslandspraktika ankurbeln / Bessere Chancen bei Bewerbungen
Als Anja Spranglewski ihren ersten antiken Stuhl in Venedig restaurieren sollte, war die Raumausstatterin am Ziel der Praktikums-Wünsche. Der Stuhl hatte Holzwurmbefall und sollte eine neue Lasur erhalten. Aber – diese Arbeit fand in der Traumstadt an der Lagune statt! Davon berichtete die junge Frau mit leuchtenden Augen, als kürzlich die Handwerkskammer Potsdam Mitte ehemalige Auslands-Praktikanten des Handwerks zu einer Rückschau einlud. Dieses Treffen sollte der Startschuss für künftige vermehrte Auslandseinsätze brandenburgischer Lehrlinge oder Gesellen sein.
Nur etwa zwei Prozent aller jungen Handwerker absolvieren in Deutschland einen Auslandseinsatz. Um diese Rate künftig zu verdoppeln, fördert die Bundesregierung sogenannte Mobilitätsberater in den einzelnen Kammerbezirken. In Potsdam wird Andrea Richter diese Aufgabe erfüllen. »Die Teilnehmer werden das Gastland nicht nur aus der Urlaubsperspektive kennenlernen«, kündigte sie an. »Dafür aber werden sie danach wissen, was sie selbst eigentlich beherrschen.« Deutschlandweit wurden 37 Mobilberater eingestellt, die Netzwerke bilden und den Auslandseinsatz wieder ankurbeln sollen. Vom Ansprechen möglicher Kandidaten über das Planen bis zur Partnersuche im Ausland. Ab Mitte Oktober wird im Zentrum für Gewerbeförderung (ZfG) Götz eine ständige Beratung möglich sein.
Im Rahmen der Leonardo-Programme hatten nach der Wende schon einige junge brandenburgische Handwerker sich den Wind ferner Länder um die Nase wehen lassen. Doch war diese Bewegung nach 2004/2005 etwas eingeschlafen, sagte Dieter Arlt, Abteilungsleiter für Gewerbeförderung. Es wurde schwieriger, Geld und Teilnehmer zu bekommen und auch das Projekt in Qualität umzusetzen. Nun soll das wieder anders werden: Eine mobile Beratung wird diesem Zug wieder Fahrt verschaffen.
Vom laufenden Monat an wird im ZfG Götz das Büro für die Beratung geöffnet haben. In der Einrichtung werden die Eignung von Bewerbern ermittelt und die Interessenten auf einen Einsatz vorbereitet, der zwischen vier Wochen und sechs Monaten lang ist, sagt Leiterin Rita Müller. Wenn es sich um Lehrlinge handelt, dann müssen der Betrieb und die Berufsschule natürlich einverstanden sein. Müller: »Grundsätzlich ist vorgesehen, dass sich die Ausbildungszeit durch das Auslandspraktikum nicht verlängert.«
Ein halbes Jahr im italienischen Vicenza gearbeitet hat die Bürokauffrau Carina Zeising. Nach der Ausbildung schien ihr dies der beste Weg, sich zu erproben, berichtete sie. Für sie sei es schon als Kind ein Traum gewesen, einmal in Italien zu leben. Ihr Rat für künftige Praktikanten: »Seid offen, probiert alles aus«. Und ihre Erfahrungen seither: »Für eine Bewerbung kann ein solches Praktikum nur gut sein.«
Die Sprache ist für viele die höchste Barriere, wissen alle Teilnehmer. Carina Zeising hat ein Langenscheidt-Kurs von vier Wochen »was gebracht«, bevor sie in Vicenca gearbeitet hat. Aber wichtiger sei doch der Sprachkurs vor Ort gewesen. Der Gas- und Wasserinstallateur Oliver Henke – er hat ebenfalls einige Monate in Vicenza gearbeitet – schwört auf die Verbindung zur Praxis: »Richtig sprechen habe ich auf der Arbeit gelernt.«
Natürlich ist die Scheu vor solchen Praktika unter der Handwerkerjugend wegen der fremden Sprache verbreitet, dabei stellten aber die meisten ihr Licht unter den Scheffel, wurde beim Treffen klar. Denn was junge Bäcker, Tischler, Zimmerleute, Gartenbaufachwerker in Brandenburg lernen, das wird im Ausland sehr geschätzt. Oft mehr als Redegewandtheit oder Dampfplauderei.
Arlt warnt vor dem ausschließlich romantischen Blick. Der tauge nicht für einen solchen Schritt. Auf die Teilnehmer warte eine »ganze Palette von Erlebnissen«. Und wenn die Zahl der »Auswanderer auf Zeit« künftig auch zunehmen werde – »auf Massenbasis wird es nicht laufen«. Aber er ist sich sicher: Alle kommen als andere Menschen zurück. Gereift und erfahrener.
Zu ihren Plänen sagte die Mobilitätsberaterin Andrea Richter, dass auch wieder Polen »geöffnet« werden soll. Sie könne sich vorstellen, dass junge Handwerker auch für ein paar Monate nach Poznan gehen.
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