Ermutigung für Vietnams Frauen
Der Verein Courage gibt alleinstehenden Frauen und ihren Kindern Hilfe zu Selbsthilfe
Vietnam lässt Gerd Willkommen nicht mehr los. Die erste Vietnam-Erfahrung war noch theoretischer Natur: die Schrecken des Vietnam-Kriegs via Medien. Praktisch verschlug es den ehemaligen Offizier der Nationalen Volksarmee erst nach seiner bis 1989 andauernden Militärzeit nach Vietnam. Mit friedlichen Absichten und dennoch militärischen Aspekten: 1998 als Spezialist für Minenräumung für die brandenburgische Firma Gerbera. Im Auftrag von Solidaritätsdienst-international räumten die Gerbera-Experten mit ihren vietnamesischen Partnern die Region Quang Tri von gefährlichen Hinterlassenschaften, die eine landwirtschaftliche Nutzung vielerorts unmöglich machten: von schwerer Schiffsartilleriemunition über Minen, Handgranaten bis hin zu Streumunition.
Willkommen baute später ein weiteres Projekt in der Provinz Thua Thien-Hue als Projektmanager auf. »Vietnam ist mir in dieser Zeit ans Herz gewachsen«, erzählt der gebürtige Dresdner. Trotzdem hat ihm dort nicht alles gefallen: »Die Geringschätzung gegenüber den Frauen hat mich immer gestört.« Das habe viel mit der vietnamesischen Tradition und männlicher Dominanz in der Gesellschaft zu tun.
Beispielsweise erzählten vietnamesische Führungskader in der Provinz Quang Tri als Bonmot hinter vorgehaltener Hand, dass Frauen nicht in höhere Positionen kämen, weil sie mit jeder Geburt ein bisschen Verstand verlören. Kinder- und Ehelosigkeit hilft freilich auch nicht zum gesellschaftlichen Aufstieg. Ein solches Frauenbild geht Willkommen gegen den Strich, Gleichberechtigung ist ihm ein Herzensanliegen. Die Einblicke in die gesellschaftliche Stellung der Frau in Vietnam vermittelten ihm weibliche Dolmetscher, Willkommen spricht zwar ein wenig Vietnamesisch, Dolmetscherhilfe ist bei seinen Vietnam-Aufenthalten dennoch unerlässlich.
Beim Beklagen der Benachteiligung der vietnamesischen Frauen beließ es der Minenexperte nicht: Nach seiner Pensionierung Anfang 2004 gründete der inzwischen im hessischen Erzhausen wohnende Sachse den Verein Courage »Hilfe zur Selbsthilfe vietnamesischer Frauen und Kinder«. Und noch im selben Jahr ging es los mit der Vorbereitung der ersten Projekte in Vietnam, wobei auch auf die dank bestehender Kontakte vorhandene Expertise von Entwicklungshelfern aus Deutschland und Norwegen zurückgegriffen werden konnte. Denn wie bei allen Entwicklungsprojekten stellte sich die Frage, welche Hilfe sinnvoll ist. Das gemeinsame Nachdenken machte beispielsweise klar, dass Berufsausbildung in den ländlichen Regionen keinen Sinn machen würde, weil es schlicht keine Jobs gebe, erinnert sich Willkommen. Und da man nicht die Landflucht fördern, sondern ebendort die Perspektiven für alleinstehende Frauen verbessern wollte, fiel die Entscheidung auf Schweinezucht. Drei Ferkel pro Frau werden als Startkapital zur Verfügung gestellt. Drei Ferkel kosten je nach Marktlage 250 bis 300 Euro, erzählt Willkommen. Im Normalfall kommen die Frauen damit auf ein dauerhaftes Jahreseinkommen von 600 Euro. Eine lohnende Investition, findet Willkommen.
600 Euro Zusatzeinkommen hört sich nach deutschen Maßstäben wenig an. Wenn man bedenkt, dass die Frauen zuvor über ein Jahreseinkommen von rund 250 Euro über Gelegenheitsarbeiten auf den Feldern von Nachbarn oder Reisig sammeln, verfügten, sind 600 Euro mehr ein Quantensprung heraus aus der absoluten Armut, die die Weltbank bei 0,75 Euro pro Tag definiert, führt Willkommen aus.
»Bei der Auswahl der Personen kooperieren wir eng mit der Frauenunion, die in jedem Dorf vertreten ist und über eine Armutsliste für jedes Dorf verfügt.« Den Anfang machte das Dorf Huong Tho in der Provinz Hue, wo inzwischen 43 Frauen mit Ferkeln versorgt wurden.
Und was Willkommen besonders freut, »die 43 haben von ihren Erträgen so viel abgegeben, dass zwei weiteren armen Frauen mit Ferkeln geholfen werden konnte.« Andere Dörfer wie Quang Thai und Huang Ho sind dazugekommen und selbst nach Kambodscha wurde inzwischen expandiert, wo bisher zehn Frauen Ferkel zum Aufbau einer kleinen Schweinezucht erhielten. Die Nachfrage ist groß, die Frauenunion von Binh Thanh hat sich Anfang des Jahres mit einem offenen Brief an Courage und ihre vietnamesische Gewährsfrau vor Ort, Ton Nu Thi Hien, gewandt, um ebenfalls bedacht zu werden. Auch weil die Erfolgsquote hoch ist, nur zehn Prozent aller Frauen scheitern aus unterschiedlichsten objektiven und subjektiven Gründen beim Aufbau einer Schweinezucht, was weit unter der Quote vergleichbarer Projekte liege, erzählt Willkommen stolz.
Als zweite, kleinere Säule unterstützt Courage Waisenkinder und vermittelt Schülerpatenschaften, bei denen die Paten für das Schulgeld aufkommen. Die Projekte von Courage speisen sich aus einem Stamm regelmäßiger Spender sowie Einmalspender, erzählt Willkommen, der im Statut von Courage festlegen lassen hat, dass zum Beispiel Vietnam-Besuche des Vorstandes nur auf eigene Kosten unternommen werden dürfen. Das betrifft ihn selbst. Aber weil ihn Vietnam nicht mehr loslässt, zahlt er diesen Preis gern, Hauptsache, die Spenden kommen zu 100 Prozent dort an, wo sie benötigt werden.
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