Noten in Blindenschrift
Die Musik-Berufsfachschule in Nürnberg bildet seit Jahren Sehbehinderte aus
Nürnberg (dpa/ND). Früher hat er einfach nach Gehör gespielt. Sein Klavierlehrer klimperte ihm etwas vor – und kurze Zeit später konnte er das komplette Stück auswendig. »Das ist jetzt vorbei. Hier wird aufs Notenlesen Wert gelegt«, erzählt der blinde Mario Krügerke. Der 26-Jährige besucht Deutschlands einzige Musik-Berufsfachschule für Blinde und Sehbehinderte. Hier wird er zum Chor- und Ensembleleiter ausgebildet.
Eine Besonderheit an der Berufsfachschule in Nürnberg ist, dass die derzeit sechs Blinden und Sehbehinderten gemeinsam mit Sehenden unterrichtet werden. »Die Schulgenehmigung sieht vor, dass mindestens die Hälfte der Schüler sehgeschädigt sein muss«, erklärt Vize-Schulleiterin Angelika Gradel. Krügerke sieht den Vorzug gemischter Klassen darin, dass die Sehenden lernen, Berührungsängste abzubauen. Gradel fügt hinzu: »Die Blinden müssen sich in unserer Welt behaupten. Hier lernen sie den Umgang mit sehenden Musikern, das ist auch für ihr späteres Berufsleben wichtig.«
Insgesamt zwei Jahre dauert die Ausbildung zum staatlich geprüften Chor- beziehungsweise Ensembleleiter. »Danach können sie noch ein drittes Jahr machen, in dem sie sich zum Sing- und Musikschullehrer weiterbilden«, sagt Gradel. Aber auch ein künstlerisches Jahr sei möglich, um sich auf das Studium an einer Musikhochschule vorzubereiten.
Voraussetzung, um an der Berufsfachschule angenommen zu werden, sei allein Talent, erklärt Gradel. »Die Schüler sollten schon vorher Musikunterricht gehabt haben.« In einer Aufnahmeprüfung wird entschieden, wer dabei ist. Je nach Ausbildungsjahr pauken die Schüler wöchentlich zwischen 20 und 32 Stunden Fächer wie Gehör- und Stimmbildung, Musikgeschichte oder Tonsatz. Auf dem Lehrplan der Blinden und Sehbehinderten steht zusätzlich das Notenlesen in Brailleschrift.
»Generell wird der Stoff für die Blinden und Sehenden unterschiedlich aufbereitet«, erläutert Ensembleleiterin Maria Meth. Alle Texte und auch die Noten würden den Blinden und Sehgeschädigten in Blindenschrift »übersetzt«.
Allerdings sei das Erlernen des Dirigierens für Blinde schwieriger, erklärt der 26-Jährige, der davon träumt, später einmal als Berufsmusiker sein Geld zu verdienen. »Ich bewege mich da manchmal wie ein Roboter.« Um ein Gefühl für die weichen Bewegungen zu bekommen, würden Mitschüler oder Lehrer dann seine Arme beim Dirigieren führen. »Dafür sind wir im Hören besser«, schildert Krügerke seine Erfahrungen.
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