Versäumter Wechsel im System
Vor gut einer Woche sprach NRW-Schulministerin Barbara Sommer (CDU) auf Einladung der »Landeselternschaft Grundschule« in Dortmund zum Thema »Länger gemeinsam lernen«. Allerdings verwendete sie nicht eine Minute ihres Auftritts darauf, etwas zur Frage des gemeinsamen Lernens über die Grundschulzeit hinaus zu sagen. Stattdessen referierte sie über die Reform der »inneren Struktur« der Grundschule und schlug vor, das längere gemeinsame Lernen von Kindern nicht immer nur für die Zeit nach dem vierten Schuljahr zu bedenken. Das längere gemeinsame Lernen solle vielmehr durch Bildungsangebote vor dem ersten Schuljahr realisiert werden, nicht durch Änderungen an der Struktur der Sekundarstufe.
Auf vielen Gesichtern im Publikum waren während des Referats der Schulministerin wachsende Ratlosigkeit und zunehmender Unmut abzulesen. Entsprechend dünn fiel der Beifall am Ende aus. Sommer hatte klargestellt, dass die derzeitige Landesregierung nicht bereit ist, sich mit Fragen einer Schulstruktur-Reform zu befassen, ungeachtet aller Entwicklungen und Erkenntnisse der Bildungsforschung. Dabei ist dieses Schulsystem ein Auslaufmodell. Die Anmeldequote für die Hauptschule ist aktuell auf den tiefsten Stand in der Geschichte des Landes gefallen, während die Nachfrage nach Gymnasium und vor allem Gesamtschule weiter steigt.
Wenn ein Autohersteller nicht rechtzeitig auf die sinkende Nachfrage für ein Automodell mit einer Neuentwicklung reagiert, muss er mit dem Verlust von Marktanteilen rechnen. Reine Modellpflege durch facelifting reicht auf Dauer nicht aus, um sich in der Konkurrenz zu behaupten. In der Bildungspolitik ist es allerdings im Unterschied zur Autoindustrie so, dass nicht der Hersteller die Folgen eines versäumten Modellwechsels zu tragen hat, sondern die Kunden.
Der Autor ist Diplom-Pädagogen und Vorsitzender des Bundesverbandes »Aktion Humane Schule e.V.«
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