Vielfalt ohne Genwandel
Wie Mikroorganismen ihr Überleben sichern
Biologische Populationen, deren Umwelt sich rasch und dramatisch verändert, sind in ihrer Existenz besonders gefährdet. Denn der Versuch von Lebewesen, ihre genetische Ausstattung durch Mutationen synchron an die veränderte Lage anzupassen, schlägt häufig fehl. Aber auch aus dieser Sackgasse hat die Evolution einen Ausweg gefunden. Um ihr Überleben zu sichern, variieren manche Lebewesen vorsorglich ihre äußere Gestalt, ohne zugleich ihr Genom zu verändern. Sie erzeugen damit unterschiedliche Nachkommen, die unter verschiedenen Umweltbedingungen existieren können.
Ein internationales Forscherteam um Christian Kost vom Jenaer Max-Planck-Institut für chemische Ökologie hat diese als »bet-hedging« bezeichnete Strategie jetzt näher untersucht. Und zwar am Beispiel von Bakterien der Art »Pseudomonas fluorescens«, die sich alle 52 Minuten vermehren und mithin gut geeignet sind, Evolution im Reagenzglas zu studieren. Außerdem besitzen diese Bakterien ein relativ kleines Genom, so dass sich neue Mutationen darin leicht aufspüren lassen.
Für ihre Experimente setzten die Forscher die Bakterien abwechselnd einem normalen und einem geschüttelten Nährmedium aus und erzeugten so Varianten, die aufgrund vorteilhafter Mutationen im jeweiligen Medium einen Überlebensvorteil besaßen. Dann wurden die Varianten getauscht. Ergebnis: Die für das geschüttelte Nährmedium vorteilhafte Mutation war im ungeschüttelten Medium von Nachteil – und umgekehrt, so dass den betreffenden Populationen das Aussterben drohte. Es entstanden jedoch neue Mutationen und Varianten, die den Nachteil zu kompensieren vermochten.
Allerdings währte diese Form der Anpassung nicht lange, schreiben die Forscher im Fachblatt »Nature« (Bd. 462, S. 90). Nach einiger Zeit bildeten sich Bakterien, die genetisch identisch waren, aber gleichwohl in mehreren äußeren Erscheinungsformen auftraten. Das heißt: Derselbe Genotyp brachte unterschiedliche phänotypische Varianten hervor. Wie sich im Experiment weiter zeigte, betrug der Unterschied zwischen dem »bet-hedging«-Genotyp und jenem am Beginn des Experiments neun Mutationen. Aber erst die zuletzt aufgetretene Mutation löste das »bet-hedging« aus.
Einmal entstanden, erwies sich diese Strategie als stabil. Das heißt, andere Genotypen, bei denen Veränderungen allein auf Mutationen beruhten, konnten sich gegen das »bet-hedging« nicht durchsetzen. »Unsere Experimente belegen«, sagt Kost, »dass Risikostreuung eine sehr erfolgreiche Anpassung an sich rasch verändernde Umweltbedingungen ist.« Sein neuseeländischer Kollege Paul Rainey vermutet überdies, dass die »bet-hedging«-Strategie sich in der Evolution schon relativ früh herausgebildet habe: »Das lässt sich aus der Leichtigkeit schließen, mit der diese Strategie in unseren Experimenten entstand.«
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