Realität und Fantasie

Revolution und Vereinigung 1989/90

  • Heinz Niemann
  • Lesedauer: 2 Min.

Sechsunddreißig Autoren hat Klaus-Dietmar Henke, Professor an der TU Dresden, Vorsitzender des Beirats der Stiftung Berliner Mauer sowie stellvertretender Vorsitzender des vom Deutschen Bundestag bestellten Wissenschaftlichen Beratungsgremiums bei der Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienste der ehemaligen DDR) für diesen Band gewonnen, darunter sieben einstige DDR-Bürger. Sie widmen sich einem breitem Spektrum an Problemen des ganz Europa verändernden Jahres 1989/90. Zwar dürfte der bisher die Wende-Literatur aus den Federn etablierter Fachhistoriker und Laien aufmerksam verfolgende Leser kaum Neues erfahren. Aber der Vorzug dieses Buches besteht darin, dass hier ein recht kompakter und informativer Überblick auf das herrschende Geschichtsbildes vermittelt wird. Einige Beiträge heben sich jedoch davon ab, so u. a. die zur Wirtschaftspolitik, zu den Runden Tischen oder der Haltung der Westmächte. Sachlich fundiert kommen diese dankenswerterweise ohne die nervende De-Legitimierungsleier aus wie man sie von nun berufsbedingten Daueropfern der SED-Diktatur kennt, die ihre Perspektive als Beschäftigte der Birthler-Behörde, der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur oder beim Forschungsverbund SED-Staat an der FU Berlin verteidigen müssen. Abgesehen von den oft peinlichen Auslassungen des Theologen Richard Schröder oder den sich widersprechenden Behauptungen des Politologen Manfred Wilke und einiger weniger weiterer Autoren, wird man die Aufsätze der am Zentrum für Zeithistorische Forschung in Potsdam arbeitenden Wissenschaftler sowie ihrer ausländischen Kollegen mit Gewinn lesen.

Im Grundtenor reiht sich der Band in das weitläufige Bemühen ein, die als demokratische und auf Reform der DDR-Gesellschaft zielende Bewegung des Spätherbstes 1989 als »Revolution« in das Korsett des Ringens zwischen westlichen Liberalismus und östlichem Totalitarismus (Faschismus plus Kommunismus) zu pressen. Dem kann man zustimmen, wenn man sich den passenden Revolutionsbegriff bastelt, der Ausreisende und Treuhandmanager zu »Revolutionären« macht.

Klaus-Dietmar Henke (Hg.): Revolution und Vereinigung 1989/90. Als in Deutschland die Realität die Phantasie überholte. dtv, München 2009. 734 S., br., 19,90 €.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.