Tusk will für Polen Kanzler-System
Regierungschef strebt Verfassungsänderung an
Wie beim Fußball, wo der Trainer seine Spieler in der Halbzeitpause auf eine neue taktische Variante einstellt, versucht Donald Tusk, die Misere seines bisherigen Waltens mit dem Vorschlag einer grundlegenden Staatsreform zu bedecken: Er möchte eine neue Verfassung für Polen haben. Der Regierungschef soll wie der deutsche Kanzler alle Verantwortung für die exekutive Macht tragen und vom Staatspräsidenten nicht blockiert werden können. Das Staatsoberhaupt soll auch nicht mehr in allgemeinen Wahlen gekürt, sondern von der Nationalversammlung gewählt werden. Tusk vergaß beim Abgucken vom deutschen Beispiel zwar die Ministerpräsidenten der Länder, den Bundesrat und den Vermittlungsausschuss, doch das hat in der Debatte über seinen Vorschlag niemand bemerkt.
Wohl aber erinnert man sich daran, dass Donald Tusk bereits als Präsidentschaftskandidat in den Jahren 2004 und 2005 mit »revolutionären« Ideen hervorgetreten war: Er wollte den Senat, die »Kammer der Faulenzer«, wie er sagte, beseitigen und die Parteienfinanzierung, was dem Volke sehr gefiel, abschaffen. Allerdings verlor er in der Stichwahl gegen Lech Kaczynski.
In Umfragen lehnen über 80 Prozent der Polen Tusks neue Vorschläge ab. Ohnehin wäre die Dreifünftelmehrheit für eine Verfassungsänderung im Sejm nicht zu haben. Und bis zur nächsten Präsidentenwahl im Herbst 2010 könnte ein neues Grundgesetz schon wegen der vorgeschriebenen Fristen nicht verabschiedet werden. Es kann also nur einen Grund dafür geben, dass Tusk »wie ein Betrunkener an der Laterne« an seiner Idee festhält: Er will von den echten Problemen Polens ablenken.
Interessanter ist eine andere Frage: Warum kommt seine Bürgerplattform (PO) in Umfragen auf doppelt so hohe Zustimmungsraten wie die Partei »Recht und Gerechtigkeit« (PiS)? Etwa wegen verbreiteter Angst vor PiS-Chef Jaroslaw Kaczynski? Nein, lautet die Antwort. Die Umfrageergebnisse entbehren jeder Logik! Ewa Tomaszewska schrieb in der neuesten Ausgabe des »Tygodnik Solidarnosc« die Regierung trete die geltende Verfassung nachhaltig mit Füßen. Das Prinzip der »sozialen Marktwirtschaft« gelte nur als »wirtschaftliche Freiheit«, die soziale Komponente sei völlig verschwunden.
Dies ist auch das Hauptargument für den Machtanspruch der PiS. Ihr Chef, der Präsidentenbruder, stellte am Montag bereits seine künftige Regierungsmannschaft vor. »Unsere Schubladen sind voll mit Gesetzentwürfen für das Volk«, sagte er und verwies auf »viele uns zur Seite stehende Experten«, die allerdings anonym bleiben wollen.
Da drängt sich natürlich die Frage nach der Haltung des Bündnisses der Demokratischen Linken (SLD) auf. Die soll erst Mitte Dezember beantwortet werden, wenn auf einem Parteitag wieder einmal ein neues Programm beschlossen werden soll.
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