Wer bin ich?
»Othello« in den Kammerspielen des DT
Aus dem Hellen ins Dunkle: versammelt sich zu Beginn, im Zuschauerraum, noch die adrett gekleidete gute Gesellschaft Venedigs, um einen Familienstreit beizulegen und wie nebenbei einen neuen Seekrieg zu beginnen, herrscht bald Düsternis. Eine stählerne Wand kracht auf die Bühne, verkrallt sich in leichter Schräglage, gibt an ihrer Oberfläche Vierecke mit Schluchten und kleinen Abgründen frei. Kein ebener Boden mehr, wir sind in Zypern. In Zypern? Alles dunkel, grau, schwarz, und auch die aus der Sauberkeit Venedigs gekommenen Militärs und Damen zeigen sich nachlässig, ja abgerissen, fremd in fremder Welt. Jette Steckel, Regisseurin von Shakespeares »Othello« in den Kammerspielen des Deutschen Theaters Berlin, bannt sie ins dunkle Verlies des seine nackte Technik preisgebenden Bühnenhauses. Schickt sie auf die Suche nach sich selbst. Kein Entrinnen ist mehr möglich, Gerichtstag wird gehalten. Wer bin ich, wer ist der andere?
Das Rätsel beginnt mit Othello selbst. Shakespeares Mohr von Venedig, oberster Krieger und beneideter Ehemann der im Handstreich eroberten Aristokratin Desdemona, hat das »falsche« Geschlecht. Das reißt die Figur in nicht mehr zu beruhigende Turbulenzen des Seins. Susanne Wolff, schlank und hochragend, mit nur einer Spur Bräune im Gesicht, zeigt gelassene Sicherheit, spielt den drahtigen Jüngling, verlässlich und stark, als ob sie der Übergang ins andere Geschlecht nichts anginge. Aber dann, in der Fremde des dunklen Zypern, tauchen Zweifel auf. Lesbische Züge werden sichtbar, Posen, Perücken, Kleider kommen zum Einsatz, auch das auf dunkle Schrecknisse hin getrimmte Gorilla-Kostüm mit Riesenmaul und gefletschten Zähnen. Othello ist nicht mehr Othello, oder findet er seine Identität gerade unter und mit den Verkleidungen? Er unterliegt mehr und mehr den Worten, den Argumenten, die ihm zugetragen werden, um seine Eigenheit zu zerstören, begibt sich auf die heillose Suche nach dem verlässlichen, »harten« Kern, den doch jeder Mensch haben müsste. Gefunden wird dieser Kern nicht – allenfalls gibt es ein Rollen-Spiel, wie es bei Bewerbungen um Posten oft gefordert wird. Nicht zufällig beginnt ja die Aufführung mit solch gepflegter, brillanter Rhetorik wie bei Manager-Schulungen. Die Aufgabe ist eben, zu verhindern, dass verlässliche Zuschreibungen – Rasse, Geschlecht, erotische Beziehung – überhaupt stattfinden können. Mehr noch: Jette Steckel entkleidet die Tragödie radikal ihrer politischen und territorialen Hintergründe, verzichtet auf die Füllsel und Nebenstränge einer großen Intrige und das dafür notwendige Personal, wirft jede mögliche Unterhaltsamkeit (Feste, Trinkgelage, Prügeleien) entschlossen weg. Unnachsichtige Reduktion, auch bei der Ausstattung von Florian Lösche (Bühne) und Pauline Hüners (Kostüme), ja selbst bei den radikalen Kürzungen der heutigem Sprachverständnis gegenüber sehr offenen Übersetzung von Frank-Patrick Steckel.
Jagos Intrige gegen Othello und eine unwandelbare Liebe ist nun schwer zu fassen. Denn wieder gibt es nur Fragen. Ist Jago der Bösewicht, oder der Kluge, Vorausschauende? Für wen »arbeitet« er, welches Spiel treibt er an, bewusst oder unbewusst? Ole Lagerpusch bringt einen Missvergnügten, Gelangweilten auf die Bühne, dem Leidenschaft und Temperament fehlen. Dieser Verführer, wenn er denn einer ist, gibt sich unfroh und stumpf, auch wenn er Erfolg hat. Ole Lagerpusch bleibt in einer Grauzone, zeigt, dass Jago schon längst keinen Spaß mehr daran hat, was er tut und tun muss. Das Unerklärliche ist ihm bewusst und eine Last. Er macht eben weiter ...
Aber die Liebe, aber Desdemona? Meike Droste zeigt wirklich das unschuldige, liebreizende Ding. Diese junge, behütete Frau mit einer geputzten, glänzenden Unschuld versteht nicht, was ihr zustößt. Die Schauspielerin treibt Desdemona bis ins Kichern und Albern, zeigt aber auch zupackende Festigkeit im geradezu schmerzhaften Glauben an eine heile Welt – die gar nicht existiert. Bei Othello, bei Susanne Wolff, erzeugt das eine tiefgreifende Verstörung. Das Strenge, Kühle, Selbstgewisse des Beginns zerfällt, steigert sich ins Rasende, Zerstörerische und verklingt in unerreichbarer Stummheit. Wenn dann die weißen Papertücher auf die nackte stählerne Bühne heruntergeflattert sind, Bett und Kissen in einem, vollzieht sich der Mord an Desdemona doch, wie in letzter Anstrengung, fast ruhig, zärtlich, erotisch – in der Gleichgeschlechtlichkeit? Es folgt die bis zur Raserei getriebene Selbsttötung des Generals, der vielleicht ein Mohr ist, vielleicht eine Frau, vielleicht ein Ungeheuer, ganz gewiss aber: ein ganz Anderer. Kein Licht mehr auf der Bühne, der eiserne Vorhang schließt sie hermetisch ab.
Dem schleichenden Prozess der Diskriminierung, von außen und auch von innen heraus, findet in diesem mörderischen Ende sein Ziel. Jettes Shakespeare-Inszenierung nimmt keine der handelnden Figuren von dieser Diskriminierung aus, in welcher rassistischen Logik sie auch erfolgt. Identitäten sind nicht festzumachen, Austauschbarkeit herrscht – und Müdigkeit. Selbst der Emilia der Simone von Zglinicki bleibt nur eine flüchtige Randexistenz ohne jeden Antrieb. Düsternis fällt über die Figuren, sie wirken wie abgemagert, nur zufällig in Leidenschaften geraten, die sich ihnen selbst nicht offenbaren. Rätsel über Rätsel auch bei den bis zu Clownerie und Slapstick gesteigerten pantomimischen Einlagen, die das Haus mit raffiniert lautmalerischer Musik (Mark Badur, Mando) geheimnisvoll, urwaldähnlich, füllen. Aus dem Liebesdrama ist eine Exkursion in menschliche Abgründe und Zerrissenheiten geworden, in die »Vielheit allen Seins«, wie die Regisseurin ihre Arbeit erklärt. Bewegend, aufregend ist das nicht. Denn diese Vielheit ist im Dunklen, Unerfreulichen, Lustlosen zwanghaft eingeengt.
Weitere Aufführungen am 1., 14. und 21. Dezember.
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