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Dazugehörigkeitsverlangen
Arnold Stadler erzählt in »Salvatore« von einer Erweckung
Was halten wir da eigentlich in Händen? Einen Roman, einen Essay, einen autobiografischen Text? – Genau: all dies zusammen. Und das liegt daran, dass es ein unordentliches, ungehöriges, unkorrektes Buch – eben ein romantisches Buch, ganz im Sinne des jungen Friedrich Schlegel, ist, der die romantische Poesie, jene progressive Universalpoesie, als »Spiegel der ganzen umgebenden Welt, ein Bild des Zeitalters« zu beschreiben versucht hat. »Sie allein ist romantisch«, schreibt Schlegel, »weil sie allein frey ist, und das als ihr erstes Gesetz anerkennt, daß die Willkühr des Dichters kein Gesetz über sich leide.«
In einem ersten Teil des Romans mit dem Titel »Salvatore« erzählt Stadler unter deutlicher Anspielung auf eigene frühere Texte, die Geschichte einer Erweckung. Salvatore, ein in Deutschland lebender Italiener, ein mehr oder minder haltloser Intellektueller, ist am »Tag einer Himmelfahrt« irgendwie total versackt. Ein Ekel vor der Gesellschaft und dem Leben im globalisierten Kapitalismus, von dem er sich einzig noch satirisch-witzig zu distanzieren versteht, hat ihn fest im Griff. Während Männerriegen an diesem Tag über Wirtschaften herfallen und reichlich den kühlen Blonden zusprechen, fühlt sich der Erzähler gedrängt, allein in ein Kino zu gehen, wo Pier Paolo Pasolinis Film »Das Evangelium nach Matthäus« von 1964 gezeigt wird. Und Salvatore, von dem es gleich mehrfach geheißen hat, dass er, wiewohl er nach abgebrochenem Theologiestudium in Rom mit der Kirche hadert (ähnlich dem Verfasser Stadler), der katholischen Religion dennoch nicht von der Fahne gegangen ist, er wird von einer gewaltigen Faszination hingerissen.
Je mehr und desto intensiver er sich in die Bilder und Handlung des Films versenkt, um so beherrschender wird die Empfindung, dass er ein ganz anderer wird – zu werden beginnt oder gar schon geworden ist. In der Identifikation mit dem, was der Film zeigt, die Geschichte von Jesus, erlebt er so etwas wie Evidenz im Augenblick, eine Epiphanie, die Erkenntnis, dass es tatsächlich so etwas wie das ganz Andere, das Heilige, gibt.
Salvatore geht aus dem Kino als ein anderer hinaus, jetzt als der geläuterte Schriftsteller Arnold Stadler, der ab da einen Text über Pasolini, das Matthäus-Evangelium und schließlich noch einen Essay über ein Bild Caravaggios schreibt und seiner Erzählung – mehr oder minder gelungen – zu integrieren versteht. In diesem zweiten Teil, »Dazugehörigkeitsverlangen«, äußert sich der gebildete Autor Stadler, der entlaufene, wieder eingefangene Katholik. Er verfasst gelehrte Anmerkungen zur Ikonografie (mit hübschen Formulierungen wie etwa derjenigen übers Malen als Aus-Malen) und böse Anmerkungen über den Protestantismus sowie die professionellen Theologen und Schriftgelehrten. Insofern liefert Stadler – wiederum im Geiste der Romantik, freilich jetzt im Sinne der bekehrten Spätromantiker – einen Beitrag zu dem, was jüngst erst Martin Mosebach in seinem streitbaren Essay als katholische Ästhetik und Literatur bezeichnet hat. Und dies an vielen Stellen mit geradezu entwaffnender Naivität, in der ja immer auch so etwas wie (raffinierte) Ursprünglichkeit steckt: »Wenn ich (...) einen Film wie diesen hier sehe, ist alles ganz klar: Ich muss ja gar nicht mehr glauben, ich sehe es ja, alles ist einleuchtend und evident.« – Wie sagt der Volksmund so schön: wer's glaubt, wird selig!
Arnold Stadler: Salvatore. Roman. S. Fischer Verlag. 222 S., geb., 17,90 €.
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