Endlich klare Bilder der DDR zeichnen

SPD-Ministerpräsident Matthias Platzeck bleibt bei seinem Versöhnungskurs

  • Wilfried Neiße
  • Lesedauer: 4 Min.

In der Vergangenheitsdebatte wird sich Ministerpräsident Matthias Platzeck (SPD) trotz enormer Widerstände von seinem Versöhnungskurs nicht abbringen lassen. Vor Journalisten trat er gestern in Potsdam für eine Aufarbeitung der DDR-Geschichte jenseits der Einengung auf die »Stasi-Opfer-Problematik« ein.

Er wünsche sich zwei, drei Filme über das wirkliche Leben damals in der DDR, sagte Platzeck und erwähnte nebenbei, Veronica Ferres (»Die Frau von Checkpoint Charlie«) müsse ja ausnahmsweise einmal nicht unbedingt die Hauptrolle dabei spielen. In einem Staatswesen, wie die DDR eines war, habe es bis auf wenige Ausnahmen niemanden gegeben, der »völlig schuldig« oder »vollkommen unschuldig« geblieben sei, setzte der Regierungschef hinzu.

Viele Ostdeutsche hätten heute das Gefühl der Zurücksetzung. Er berichtete von Krankenschwestern und Rettungstauchern, die nach der Wende ihre Qualifikationen erneut unter Beweis stellen mussten, obwohl ihre Ausbildung in der DDR besser gewesen sei. Platzeck sagte: »In der Ausstellung ›60 deutsche Kunstwerke aus 60 Jahren‹ gab es nicht einen einzigen ostdeutschen Beitrag – das ist heutige bundesdeutsche Realität.« Es werde endlich einmal Zeit, »dass wir klare Bilder zeichnen«.

Vor dem Hintergrund der überbordenden Stasi-Debatte nach Bildung der rot-roten Koalition erklärte Platzeck, die Mehrheit der Brandenburger bringe dem gegenüber eher kein Verständnis auf. Wenn eine durch Print- und Funkmedien massiv vorbereitete Protestdemonstration gegen die Landesregierung gerade einmal 200 Menschen am Nauener Tor in Potsdam vereint habe, dann fühle er sich in dieser Haltung bestätigt. Bei einem Auftritt in Prenzlau habe überhaupt niemand mit ihm über dieses Thema reden wollen.

Platzeck wehrte sich gegen das Image des »Schmuddelkindes«, das Brandenburg übergeholfen werde. Tatsache sei, dass vielmehr in anderen neuen Ländern das Thema »für viele einfach abgehakt« sei und es in Brandenburg – bedingt durch die Untersuchungen gegen den früheren Ministerpräsidenten Manfred Stolpe – »eine wesentlich intensivere Auseinandersetzung« auch in den 90er Jahren gegeben habe.

Platzeck legte Elemente der Verlogenheit in der Debatte offen: »In Wirklichkeit interessieren der Osten und sein damaliges Leben doch niemanden.« Er wies auch den Vergleich als unpassend zurück, bei der Stasi-Verfolgung handle es sich um eine Art »68er Bewegung« der neuen Generation. Es gebe in Brandenburg den vor Jahrzehnten in der BRD zu Recht gegeißelten »Muff von 1000 Jahren« allein schon deshalb nicht, weil Professoren, Polizeipräsidenten, Richter und leitende Beamten zum weitaus größten Teil aus dem Westen stammen. Diese Situation unterscheide sich wesentlich von der in der frühen Bundesrepublik, als unter dem Schutz von Konrad Adenauer NS-belastete Personen wie Globke, Kiesinger und Filbinger ihre Karieren in der Demokratie hinlegen konnten. »Wer das mit der heutigen Situation in Ostdeutschland gleichsetzt, der spinnt.«

Mit seinem Vorschlag, die Stelle eines Stasi-Beauftragten auch in Brandenburg einzurichten – inzwischen hat Ulrike Poppe diese Funktion übernommen –, habe er die Vergangenheitsdiskussion »endlich in einen vernünftigen Kontext« stellen wollen, unterstrich der Regierungschef. Dies sei durch die Abgeordneten Gerd-Rüdiger Hoffmann und Renate Adolph, die ihre Stasi-Kontakte vor der Wahl nicht oder nicht vollständig offenlegten, »gründlich konterkariert« worden. Aus diesen zwei Fällen werden aber nach Ansicht Platzecks in den Medien »gefühlte 20 Fälle« gemacht.

Zunächst habe ihn in dieser unerwarteten Lage der Frust übermannt, bekannte Platzeck. Am Ende jedoch habe der Angriff die Koalition »zusammengeschweißt« und auch in der SPD den Zusammenhalt gestärkt. Anhänger einer Fortsetzung der Koalition mit der CDU innerhalb seiner Partei werden durch die Haltung der CDU zum Umdenken veranlasst, erzählte Platzeck. Schon in den Sondierungsgesprächen mit CDU-Politikern wie Dieter Dombrowski und Barbara Richstein habe ein anderer Ton geherrscht als früher mit Jörg Schönbohm und Ulrich Junghanns. Bezogen auf CDU-Fraktionschefin Johanna Wanka sagte Platzeck: »Es wäre besser, wenn sie zum Normalton zurückfinden würde.« Derzeit herrsche zwischen ihnen Funkstille. Platzeck erwähnte, dass in zehn Jahren Regierungsbeteiligung der CDU von dieser Partei kein einziger Antrag zur Aufarbeitung eingereicht worden sei.

Über die Vorsitzende der Linksfraktion im Landtag sagte Platzeck: »Ich mag Kerstin Kaiser, ich kann sie gut leiden.« Was die Minister der LINKEN angehe, reiche das Klima von kollegial bis freundschaftlich. Die neue politische Konstellation habe den Debatten im Parlament gut getan, findet der Regierungschef. Vor allem dem Grünen-Politiker Axel Vogel höre er gerne zu.

Wichtigste Vorhaben der nächsten Monate seien die Neubestimmung der regionalen Wachstumskerne und der Branchenkompetenzfelder sowie die Einführung eines Schüler-Bafögs. Unsicher müsse man angesichts der Wirtschaftskrise bei den Einnahmen sein. »Ich wäre froh, wenn es bei den Schulden keine Explosion gibt.« Scharfrichter in dieser Frage werde die Mai-Steuerschätzung sein.

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