Hose ohne Mann

Ivana Jeissing über ein Wiedererwachen

  • Silvia Ottow
  • Lesedauer: 3 Min.

Wie kann man überleben, wenn man verlassen wird? Und warum bauen die Brandseeschwalben auf Sark ihre Nester an atemberaubend hohen Felswänden, an denen jeder Flugfehler das Ende des Vogellebens bedeuten kann? Zwei zentrale Fragen im Roman der in Berlin lebenden Österreicherin Ivana Jeissing, deren Heldin Martha Knorr (wie die Suppe) von ihrem Mann Tom Heinz (wie der Ketchup) in einem derartigen Tempo verlassen wird, dass sie es kaum für möglich hält. Woran erkennt man, wann eine Liebe sich erschöpft, fragt sie sich verzweifelt. Hätte sie das Ende ihrer zwölfjährigen Ehe verhindern können? Hätte sie merken müssen, worauf es hinaus lief? Weinend klammert sie sich an eine gelbe Badehose von Tom, um sie ihm später vorbeibringen zu können. Eine vergebliche Hoffnung. Schenk sie dem Nachbarn, sagt kalt derjenige, an dem noch immer Marthas ganzes Herz hängt.

Zum Glück wird die Lebenswelt der vierzigjährigen Werbetexterin von einem illustren Personenkreis bestimmt. Die Eltern: psychologische Biologen oder biologische Psychologen mit einem Hang zur Subkultur und zu Halluzinationen, der Freund: ein Bauchredner, der sein »alter ego« aus Pappmaché Honky Tonk nennt, die Tante: eine exzentrische Liebhaberin der Sterne, die am Ende ihr Altersheim verlässt, um auf der kleinen englischen Kanalinsel Sark mit einem Vogelexperten die letzten Jahre ihres Lebens zu verbringen.

Wer möchte nicht von solchen Menschen umgeben sein oder wenigstens hin und wieder mal auf einen von ihnen treffen, um dem Alltag mit skurrilen Geschichten oder witzigen Gesprächen für einige Momente zu entkommen? Genau das Richtige in einer Lebenskrise, die von der Autorin mit unterhaltsamem Witz geschildert wird.

Maud überredet Martha, mit ihr auf das Kanalinselchen Sark zu reisen, an einen Ort ohne Strom und Komfort, aber mit so viel Naturschönheit, dass sich Martha wieder wehmütig an Tom erinnern muss – wie es einem so geht, wenn man etwas Schönes sieht und es mit dem Einzigen teilen will, der dafür in Frage zu kommen scheint. Aber dafür steht der Mann nicht mehr zur Verfügung, von dem der Leser kaum erfährt, wieso er nach so vielen Jahren einer Beziehung noch immer eine derartige Faszination auf Martha ausübt. Weil er der Vertrauteste war? Weil die Furcht vor dem Alleinsein so groß war? Tom kommt lediglich noch einmal auf Sark vorbei, um in der gleichen Windeseile, mit der er die Trennung vollzog, nun auch die Scheidungspapiere unterschrieben zu bekommen. Da allerdings hat die ruhige Martha mit den wilden, ungebändigten Locken schon erfahren, dass es auch mit anderen Männern schön sein kann und dass die Wunderwelt von Sark in einer ihrer Höhlen bizarre Geheimnisse birgt, die nur sie entdeckt hat.

Gestärkt durch so viel neue Erfahrungen, kann sie denn auch die schnelle Unterschrift unter das gedruckte Ende ihrer Ehe verweigern und so auch für Tom nicht alles so einfach laufen lassen. Ein bisschen verwegener geworden, ein bisschen Mut von den Felsbrütern abgeschaut und ein wenig Entschlossenheit von Maud, so verlassen wir am Ende eine neue Martha, die Toms gelbe Badehose genüsslich in den Atlantikfluten versinken sieht.

Ivana Jeissing: Felsenbrüter, Roman. Diogenes Verlag. 229 S., geb., 19,90 €.

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