Spukhäuser
Sarah Khan auf Geisterjagd
Es ist nicht wie bei Edgar Allan Poe. Sarah Khan lebt frei vom Grauen. Sie muss es erst suchen, wenn sie ein Buch über das Unheimliche in Berlin schreiben will. Wie würde sie sich da über eine weiße Hand auf der Bettdecke freuen, über einen Poltergeist oder wenigstens einen kalten Hauch, der durchs Zimmer streicht. Aber davon weiß sie nur vom Hörensagen. Einmal hat sie mit einer Freundin eine Nacht im Künstlerhaus Bethanien in Berlin-Kreuzberg verbracht. In einem Raum, wo es spuken soll, wollte sie, im Sinne des »Tonbandstimmen-Phänomens«, um Mitternacht Geisterstimmen aufzeichnen, die sonst unhörbar sind. Nichts! Kein Zeichen aus dem Jenseits! Die Gespensterjägerin wird enttäuscht.
Aber keine Sorge, sie hat Humor. Und ist realistisch genug, keine paranormalen Erscheinungen zu erwarten, obwohl sie inzwischen schon ein ganz klein wenig daran zu glauben beginnt. Kein Wunder angesichts dessen, was man ihr so erzählt. Da will eine Frau namens Anne Hahn mittels besonderer Fähigkeiten mit Verstorbenen gesprochen und Stasi-Abhöranlagen geortet haben. Eine andere weiß von den schrecklichen Folgen zu berichten, die der Diebstahl eines Friedhofskreuzes hatte. Die Besitzerin einer Werbeagentur, die sich nahe des Dorotheenstädtischen Friedhofs eingemietet hat, braucht die Beruhigung durch einen berühmten Feng-Shui-Meister, dass der Ort ihr und dem Geschäft nicht schadet. Eine andere Frau fürchtete sich in Müncheberg – lag's an den Toten von den Seelower Höhen, an einer Wasserader, den fremden Nachbarn oder doch an ihr selbst? So gesehen, kann man manch Unbehagen an Geister delegieren, aber mit so profanen Aussagen ist Sarah Khan – und dem Leser dieses Buches – natürlich nicht gedient. Schließlich soll es spannend sein.
»Sie müssen mit der Phantasie arbeiten«, bekommt die Autorin von einem Antiquar zu hören, dem sie eine ganze Kiste Geisterbücher abkauft. Aber ein Märchenbuch wäre nicht nach ihrem Geschmack gewesen. Also hat sie keinen Aufwand gescheut, unheimliche Geschichten zu recherchieren (ein gewisser Jagdtrieb steigert das Lebensgefühl), und ist dabei vor allem unheimlicher Geschichte aus Berlin auf die Spur gekommen.
Erfährt sie Seltsames über einen Ort, sucht sie zunächst in dessen Vergangenheit. Wer starb dort unter welchen Umständen? Da findet sie ein Haus, in dem einst Zwangsarbeiterinnen einquartiert waren, wird durch ein anderes an den Hungerwinter 1945 erinnert. Was am einstigen Nordbahnhof geschah, ist tatsächlich grauenhafter als der schlimmste Spuk.
Und, oh Wunder, ein »Gespenst« ist sogar zu einem Gespräch mit Sarah Khan bereit, obwohl sonst niemand es sah, wenn es nachts Autos anzündete. Von ihm kommt eine ganz wichtige Aussage, die man sich für entsprechende Situationen merken muss: Geister spuken aus Angst und weil sie nicht anders können. Indem man ihnen Beachtung schenkt, zu erspüren versucht, was ihnen fehlt, finden sie vielleicht Erlösung.
Sarah Khan: Die Gespenster von Berlin. Unheimliche Geschichten. Suhrkamp. 190 S., brosch., 9,90 €.
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